Hamburg. Die ungewöhnliche Tanz-Theater-Mischung „Abaporu“ thematisiert Migration und Assimilation. Leicht macht es einem dieser Abend nicht.
Was für ein Stimmungswechsel! Da hat man sich gerade darauf eingestellt, dass „Abaporu – Das andere Verschlingen“ im Lichthof Theater Tanz ist, repetitiver, konzentrierter Tanz, der mal in Richtung Abstraktion geht und mal ins Folkloristische – und plötzlich ändert sich die Musik radikal.
Disco-Beats wummern durch den Raum, Göktug Engel begrüßt das Publikum mit öliger Stimme zu einer Spielshow, bei der drei aus Italien, Brasilien und Südkorea stammende Performer ihre Integrationsfähigkeit in Deutschland beweisen sollen. Die von vielen Migranten zwiespältig aufgenommene Frage „Wo kommst du her?“ befriedigend beantworten, Sätze grammatikalisch richtig bilden, drei deutsche Berühmtheiten nennen, so etwas. (Sujin Lee nennt dreimal „Pina Bausch“ und bekommt Punkte. Okay.)
Lichthof Theater: Wenn Herkunft aufgefressen wird
„Abaporu“ entstammt aus der indigenen brasilianischen Tupi-Sprache und heißt soviel wie „Menschenfresser“. Und das Symbol des Menschenfressers wird hier auf die Migration angewandt: Menschen kommen in ein Land und werden von der Ursprungsgesellschaft assimiliert, ihre Herkunft wird quasi aufgefressen.
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Die von Analy Nágila Freitas Reis inszenierte und choreografierte Produktion bebildert das mit Tanz, Schauspiel und Entertainment. Und mit Humor, der unvermittelt in den Schrecken kippen kann: Erst plaudern alle über ihre Herkunft, und dann nennt Nágila die Basis ihrer brasilianischen Heimat: „Raub. Vergewaltigung. Genozid. Ich bin ein Produkt davon.“ Leicht macht es einem dieser Abend nicht.
Theater in Hamburg: Irgendwann stehen alle nackt da
Dabei ist er technisch auf höchstem Niveau. Die ungewöhnliche Mischung aus Tanz und Theater ist kein Tanztheater, in dem Tänzer von Zeit zu Zeit Sprechrollen übernehmen; es ist auch kein Sprechtheater, in dem Schauspieler sich choreografisch bewegen – es ist tatsächlich eine Mischung, die vom Können der Beteiligten lebt. Und von der Freude am Exzess.
Gegen Ende kippt die Spielshow in ein Strip-Zungenbrecher-Spiel, irgendwann stehen alle nackt da, und wie sie sich von der Kleidung befreit haben, befreien sie sich auch von den Einschränkungen von Sprache und Zuschreibung ihrer Herkunft. „Die Sprache ist eine Frage der Macht“, „A Linguagem é uma Questão de Poder“, weiß Nágila. Und dann tanzt sie.
„Abaporu – Das andere Verschlingen“ noch So 13.3., 18.00, Lichthof Theater, Mendelssohnstr. 15; https://www.lichthof-theater.de/