Hamburg. Das Stück „Dragons“ von Eun-Me Ahn ist derzeit auf Kampnagel zu erleben. Es erscheint leicht verständlich und ist doch sehr komplex.

Ein Rüssel. Es ist eindeutig ein Rüssel, der sich von links auf die Kampnagel-Bühne schiebt, bestehend aus einem Stück Lüftungsrohr, gefolgt von einer bunt gewandeten Tänzerin, die ins Rohr trötet. Und stöhnt. Und keucht. Sie bewegt sich diagonal über die Bühne, eine Tanzfigur aus der europäischen Balletttradition, dann gesellt sich ein Kollege zu ihr, der artistische Sprünge vollführt, dann eine Tänzerin, deren Körper erweitert wirkt und der anscheinend eine Musikquelle darstellt. Und wieder die Diagonale.

Eun-Me Ahns „Dragons“ ist ein eigenartiges Stück. Einerseits ist die im koreanischen Seoul entstandene Arbeit leicht lesbar für den europäischen Zuschauer, man kennt diese Bilder: die klassischen Tanzfiguren, die Anklänge ans Objekttheater, die Artistik und den Hip-Hop.

„Dragons“: Tanztheater aus Südkorea

Und man lässt sich verzaubern von den fantasievollen Kostümen und der aufwendigen Hightechbühne (für die die Choreografin ebenfalls verantwortlich zeichnet), man starrt mit offenem Mund auf die Videos, mit denen das achtköpfige Ensemble vervielfacht wird (Videoregie: Taeseok Lee). Doch während man begeistert dasitzt, kriegt man gar nicht mit, dass man in Wahrheit überhaupt nichts kapiert.

„Dragons“ täuscht Lesbarkeit an und versteckt sie kurz darauf hinter einer überbordenden Zeichenflut, ähnlich koreanischer Popmusik, die ebenfalls beim ersten Hören vertraut für westliche Ohren klingt und in der Folge Bedeutung über Bedeutung schichtet. Eun-Me Ahns Abend ist so gesehen Poptheater unter den Bedingungen des K-Pop: von allem zu viel und dabei unvorstellbar klug.

Tänzer aus fünf Ländern bei „Dragons“

Da erzählen die um 2000, im Jahr des Drachens, geborenen Ensemblemitglieder von ihrem Weg zum Tanz. Sympathisch, aber auch ein wenig unspektakulär. Parallel dazu lullt einen unvorstellbar süßliche Gitarrenmusik ein – und erst als die Szene längst ausgeklungen ist, abgelöst von harschen Hip-Hop-Beats und einer harten Kampfchoreografie, fällt einem auf, dass es bei den Beschreibungen gar nicht um alltägliche Biografieschnipsel ging. Sondern um die Leidenschaft und die Berührung, die Tanz auslösen kann.

Geprobt wurde „Dragons“ 2020, im ersten Corona-Jahr, mit Tänzern aus fünf Ländern. Und die Schlussszene erinnert an diese Proben: Der Bühnenscreen füllt sich nach und nach mit Bildern von Tänzern, die in Videokonferenz-Kacheln Bewegungsfolgen vollziehen, alleine in ihrem privaten Umfeld und gleichzeitig Teil einer größeren Bewegung. Alles und nichts, gemeinsam und einsam, Europa und Asien, Pop und Hochkultur. Lockdown-Tanz.

„Dragons“ weitere Termine 18., 19. März, 19.30 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter Tel. 27 09 49 49, www.kampnagel.de