Hamburg. Diese Fassung schafft mit ihrer klaren Sprache die Konzentration auf das Wesentliche. Ensemble spielt fulminant auf.

In diesen dunklen Zeiten einen Klassiker von Tschechow anzuschauen, verursacht schon ein wenig gemischte Gefühle. Da hilft es, wenn der Musiker Daniel Kahn am Piano erst ein paar jiddische Lieder anstimmt, sich erhebt und kämpferisch ausruft: „Frieden und Freiheit für die Ukraine!“.

Dann kann man sich getrost Anton Tschechows „Onkel Wanja“ zuwenden, den der Regisseur Hakan Savas Mican umgemünzt hat in „Wanja in der Gaußstraße“ und in dem Höhlensystem der Thalia-Studiobühne beginnt die Inszenierung auch. Felix Knopp, der den verlorenen Idealen nachhängenden Arzt Astrow spielt, streift durch die kargen Gänge und trifft die Sonja-Darstellerin Meryem Öz, die ihm einen Dialog über den Psychoanalytiker Jacques Lacan aufnötigt. Anna Blomeier, die eine sehr tolle Jelena gibt, tauscht sich mit Maria-Darstellerin Sandra Flubacher über frühere Inszenierungen und die Rollenprobleme alternder Schauspielerinnen aus.

Wanja: Regisseur Mican lässt die Bilder groß

Das ist ironisch, heiter, klug und fügt sich gut in diese Tragikomödie, die ja auch aus langen gewittrigen Nächten, Lamentos über ungelebte oder verwirkte Leben und aus Soap-würdigen Liebesschwüren besteht. Davon hätte man doch gerne mehr gesehen. Mican lässt die Bilder groß – einige zeigen die Darsteller leider nur von hinten - auf das ebenfalls von ihm verantwortete Bühnenbild projizieren. Mit Holzfenstern, Scheinwerfern, Tischrunde, Kühlschrank und natürlich angemessenen Mengen Tee und Wodka erinnert es an eine liebenswert verwahrloste Probebühne.

Auf dem Landgut, das der mit Stefan Stern etwas jung besetzte Wanja verwaltet und das einst seiner verstorbenen Schwester gehörte, dämmern sie alle mehr oder weniger selbstmitleidig in den Tag hinein. Wanjas Schwager, der Kunstprofessor Serebrjakow, den Oliver Mallison als bunt gekleideten, exzentrischen Hypochonder gibt. Außerdem dessen Tochter Sonja, bei Meryem Öz, ein wenig zu leise und verhalten, die Wanja in der Gutsverwaltung unterstützt. Auch Wanjas Mutter Maria ist dabei. Serebrjakow hat Geldnöte, weshalb er sich mit seiner neuen, jungen Frau Jelena aus der Stadt auf das Land zurückgezogen hat.

Anna Blomeier gibt sie als moderne Femme Fatale, klug, aber hoffnungslos der Langeweile, dem Nichtstun und der Sinnlosigkeit des Daseins ergeben – und daran langsam und sehr sehenswert implodierend. Mit ihrer ausgebremsten Energie wird sie zum begehrten Stern gleich mehrerer Männer. Das etwas plumpe, hilflose Werben Wanjas, weist sie ab. Astrow dagegen fasziniert sie.

Fassung von Angela Schanelec schafft Konzentration auf das Wesentliche

Felix Knopp verleiht dem Arzt, Waldfreund und Vegetarier, der hier einen frühen Klimaschützer gibt, eine bittere Desillusioniertheit. Mit bloßem Oberkörper unterm Sakko schlaflos durch das Gut geisternd, hat er sich dem Alkohol ergeben. Mit der Liebe und dem Leben hat er abgeschlossen – wird dann aber doch die verführerische Jelena bedrängen, während er die in ihn verliebte Sonja übersieht.

Der wankelmütig depressive Wanja beklagt die eigene Vergeudung von Talent, Intelligenz und Mut. Doch noch nicht einmal die Kurzschlussreaktion, in der er zweimal auf Serebrjakow mit der Waffe zielt (ohne zu treffen), als dieser das Gut verkaufen will, gelingt.

Die Fassung von Angela Schanelec schafft mit ihrer klaren Sprache die notwendige Konzentration auf das Wesentliche. Und Regisseur Hakan Savas Mican kann auf sein fulminant aufspielendes Ensemble zählen, das alle Nuancen der Figuren und ihr komplexes Zusammenwirken in der Tiefe ausleuchtet. Am Ende bleibt wie immer bei Tschechow alles beim Alten. Mit der Aussicht auf Ruhe – und Lindenblütentee.

„Wanja in der Gaußstraße“ weitere Vorstellungen 4.3., 5.3., jew. 20 Uhr, 20.3., 19 Uhr, 8.4., 20 Uhr, Thallia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten gibt es hier.