Hamburg. Die Lessingtage enden mit der „Langen Nacht der Weltreligionen“. Trotz Corona meldet das Festival 75 Prozent Auslastung.
Wir leben in Zeiten, in denen die Endlichkeit, die wir ja ohnehin gerne verdrängen, uns schmerzlicher bewusst ist als sonst. Anlass, auch einmal über Konzepte und Ideen zum Thema „Traum von der Unsterblichkeit“ nachzudenken. Die Lange Nacht der Weltreligionen zum Abschluss des diesjährigen Thalia-Festivals „Um alles in der Welt – Lessingtage 2022“ bot dazu reichlich Perspektiven.
Sie setzte damit einen eindringlichen Schlusspunkt der 13. Lessingtage, die es als analoges Festival naturgemäß nicht leicht hatten, aber dennoch auf 75 Prozent Publikumsauslastung kamen. Sechs Termine mit geplanten Gastspielen mussten krankheitsbedingt entfallen. „Barocco“ von Kirill Serebrennikov und „The Sheep Song“ von FC Bergman wurden abgesagt und auch Thomas Ostermeiers Berliner Adaption von „Das Leben des Vernon Subutex 1“ war zuletzt gefährdet, konnte aber gerettet werden: die Schauspielerin Ruth Rosenfeld wurde aus der heimischen Quarantäne per Video zugeschaltet. Das Schicksal einer Absage ereilte indes die Folgevorstellungen der herausragenden Uraufführung „Der schwarze Mönch“, ebenfalls in der Regie von Kirill Serebrennikov.
Lessingtage: Thalia Theater gut besucht
Überzeugen konnte die zweite Eigenproduktion, Toshiki Okadas formstarke Inszenierung „Doughnuts“. Gastspiele aus Litauen, Belgien und Dänemark lieferten kraftvolle Kommentare zur Gegenwart, wenn auch, wie bei dem als Palindrom erzähltem Klimawandel-Stück „Are we not drawn onward to new erA“ die Idee mitunter origineller geriet als die Umsetzung.
Zur „Langen Nacht der Weltreligionen“ ist das Thalia Theater gut gefüllt, auch wenn nicht alle bis zum Ende durchhalten. Dabei sind die Mitwirkenden von den Machern Matthias Günther, Christine Ratka und Dorothea Grießbach überaus klug ausgewählt, um das Publikum über fünf Stunden bei der Stange zu halten. In einem erfrischenden Impulsvortrag schwört die junge Philosophin Ana Honnacker auf das Thema ein. „Sterblichkeit. Ein philosophisches Plädoyer“ kann dennoch wenig Erlösendes verkünden und erwartungsgemäß keinen Beweis für die Unsterblichkeit herleiten.
Gesprächsrunde von Christiane Florin moderiert
Denn mit der Unsterblichkeit sei es ja so: „Wo der Glaube fehlt und damit keine Anfangsplausibilität gegeben ist, hat es die Vernunft schwer, überzeugende Gründe für sie zu finden.“ Leider dauert es nach dem starken Einstieg fast zwei Stunden, bis sich die erste wirkliche Gesprächsrunde mit (Un-)Sterblichkeitskonzepten der Religionen befasst. Kompetent moderiert von Christiane Florin werden in angenehm sachlichem Ton Ideengebäude aus Islam, orthodoxem Christentum und Zen-Buddhismus vergleichend betrachtet.
Die „Lange Nacht“ ist aber keine reine Lecture-Veranstaltung sondern lebt auch von künstlerischen Beiträgen. Mitglieder des Thalia-Ensembles wie Oda Thormeyer und Christiane von Poelnitz rezitieren religiöse Texte, während Tilo Werner einen Hauch Gegenwart mit einem aktuellen literarischen Text einbringt. In „Günther Rühle – Ein alter Mann wird älter“, erzählt er von einem im Alterungsprozess schwindenden Radius. „Man wird sich selbst zum Ereignis“, ruft er aus. Zu den Lesungen flimmern spektakuläre Bilder von urbanen Verkehrsströmen über ein variabel auf- und niedersinkendes Bühnenbild – bevorzugt aus den Millionenstädten Asiens. Ein starker szenischer Kontrast zu den eher introspektiven Texten.
Auch die musikalischen Beiträge sind gelungen
Überaus gelungen sind die musikalischen Beiträge, etwa die grandiosen Orient-Jazz-Klänge von Thomas Yang de Pfeiffer (Piano), Nicholas Morales (Cello), Hicham Almakdari (Oud) und Josue Morales (Trommel). Sie erlauben, das Gehörte nachwirken und in sich arbeiten zu lassen. Sehr bewegend gerät ein Duett der Hamburger Tanz-Formation House Of Brownies. Tash Manzungu begegnet darin mit großer Inbrunst singend und tanzend dem Tod in Gestalt des fantastischen Tänzers Pascal Schmidt.
Nach fast drei Stunden bietet eine Pause die willkommene Gelegenheit, bei Tee und leichtem Gebäck über das Gesagte in den Austausch zu kommen. Der Zweite Teil hat es dann noch einmal in sich, als der junge Theater- und Filmemacher Moritz Riesewieck sein gemeinsam mit Hans Block verfasstes Buch „Die digitale Seele – Unsterblich werden im Zeitalter Künstlicher Intelligenz“ vorstellt. Darin geht es um eine vermeintliche Science-Fiction-Version des Nachlebens, die aber teilweise schon (schaurige) Realität ist. Firmen in aller Welt entwickeln Chat-Bots, die sich aus Stimmen, Humor, Denken und Fühlen Verstorbener speisen und für die Hinterbliebenen ein Weiterleben simulieren.
Lessingtage: Gesprächsrunde setzt kritische Töne
Die Videobilder einer Mutter, die ihre verstorbene Tochter digital zwar anschauen, aber nicht umarmen kann, sind nur schwer erträglich. Riesewieck geht es jedoch nicht um die Feier des technisch Möglichen, sondern um eine kritische Betrachtung der Folgen für die Gesellschaft. „,Empathie zu zeigen, ist nicht das Gleiche wie Empathie zu haben.“
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Ähnlich kritische Töne setzt auch die zweite Gesprächsrunde, sie hinterfragt die Gedanken zur Optimierung des Menschen und die Einordnung des Alters als Krankheit. Und so verlässt man diese „Lange Nacht“ zu vorgerückter Stunde mit dem Resumée, dass die Endlichkeit für das Leben am Ende vielleicht doch kein Fluch, sondern ein Segen ist.