Hamburg. Besser hätte es sich das Thalia Theater nicht wünschen können: Autorin und Dramatikerin Nino Haratischwili würdigt die Lessingtage.
Nino Haratischwili ist aufgeregt. Als sie angefragt worden sei, die Festivalrede bei den diesjährigen Lessingtagen im Thalia Theater zu halten, habe sie eigentlich absagen wollen, erzählt die Schriftstellerin. Sie sei weder eine gute Rednerin noch eine gute Redenschreiberin, aber als ihr dann zugesagt wurde, überhaupt keine Rede verfassen zu müssen, sondern auch eine Geschichte vortragen zu dürfen, habe sie zugesagt.
Weshalb sie am Sonntagvormittag eben eine Geschichte erzählte, „Das letzte Fest“ – eine Geschichte, wie man sie von Haratischwili kennt, basierend auf realen Gegebenheiten, durchwirkt mit eigenen Erfahrungen, überhöht zur Literatur. Und die durch ihren Zeitbezug dann eben doch nicht nur Literatur ist, sondern durchaus eine Rede, politisch, allgemeingültig. Besser konnte man es sich am Thalia eigentlich nicht wünschen.
Lessingtage 2022: Haratischwili im Thalia Theater
Die 1983 im georgischen Tbilissi geborene und viele Jahre in Hamburg lebende Haratischwili ist eine zentrale Figur für das Programm des Thalia: Die Theaterfassungen ihrer Romane „Das achte Leben (für Brilka)“ und „Die Katze und der General“ wurden erfolgreich am Haus uraufgeführt, Ende Februar folgt eine Inszenierung ihres jüngsten, noch nicht erschienenen Werks „Das mangelnde Licht“.
Und es ist tatsächlich so, wie es Thalia-Intendant Joachim Lux mit seinen einleitenden Worten beschreibt: In einer zunehmend diverseren Stadtgesellschaft könnten insbesondere Künstler mit Migrationshintergrund neue Perspektiven auf die Gegenwart eröffnen, weshalb neben Haratischwili auch Autoren wie Saša Stanišić (geboren im bosnischen Višegrad) und Navid Kermani (geboren in Siegen als Kind iranischer Eltern) für seinen Spielplan wichtig seien. Und dieses Eröffnen neuer Perspektiven sei wichtig fürs Theater, für die Kunst – weil neue Perspektiven es erlauben, mit dem Gegenüber zu fühlen.
Dieses Mitfühlen durch Kunst ist auch für Kultursenator Carsten Brosda ein Anknüpfungspunkt. In Zeiten von Pandemie und wachsender Kriegsgefahr in der Ukraine sei es wichtig, sich auf das Gegenüber einzulassen, beschreibt der SPD-Politiker die Aufgabe des Theaters in einem ausladenden, Adorno, Judith Butler und Hannah Arendt zitierenden Grußwort. Theater sei „eine Schule für die Fähigkeit des Mit-Leidens“, und gerade die Lessingtage mit ihrem Motto „Celebration of Life“ – Feier des Lebens – könnten ein Ort hierfür sein. Denn: „Wer vom Tod spricht, kann und darf vom Leben nicht schweigen!“
Geweckt mit „es ist Krieg!“
Wobei dieser Satz die Brücke schlägt zu Haratischwili. Und auch wenn Brosda ein wenig spöttisch über den Titel „Das letzte Fest“ meint, dass das „in Corona-Zeiten eine interessante Aussage“ sei, so ist die vorgetragene Geschichte doch gleichzeitig ein Bericht über den Tod und über die Feier des Lebens.
Haratischwili erzählt hier, wie sie 2008 als frisch diplomierte Regisseurin ihre georgische Heimat besucht habe und eines morgens von einer Kinderstimme geweckt worden sei: „Es ist Krieg!“ Am 8. August 2008 marschierten russische Truppen ins georgische Südossetien ein und annektierten das Gebiet, nach fünf Tagen und rund 850 Toten war der kurze Krieg entschieden. Mit einem Sieg für Russland.
Haratischwili beschreibt, wie sie durch das aufgepeitschte Tbilissi zieht, wie sie in eine Kellerkneipe gerät und dort widerwillig feiert. Kann man das – feiern, während wenige Kilometer entfernt Bomben einschlagen? Protagonistin Keti hat eine klare Antwort: „Sollte mein Ende nah sein, so will ich lieber gut gelaunt und mit einem guten Cognac im Magen sterben!“
„Das letzte Fest“ zeigt, wie solch eine Feier möglich sein kann: wie der Alkohol einen nicht enthemmt, sondern den eigenen Verletzungen näherbringt, wie die Beteiligten nach und nach Traumata und Wunden offenlegen. Wie sie beginnen, mit dem Gegenüber mitzuleiden: „Wir feierten das Leben, indem wir die Angst zugaben, es zu verlieren!“ Und während anderswo in den ersten Kriegstagen nationalistische Gefühle aufwallen, verwandelt sich die Bar in einen Ort, an dem Skepsis angebracht ist: Selbst der Machotyp, der sein Glas „auf die Heimat“ erhebt, erweist sich als gebrochener Charakter, der sich schwer in die Schublade gekränkten patriotischen Stolzes stecken lässt.
Gitarren verschränken die Geschichte fast gespenstisch
Tatsächlich entpuppt sich Nino Haratischwilis Vortrag als perfekte Umsetzung von Brosdas Forderung nach einer Schule des Mit-Leidens. Und gerade in Zeiten, in denen im Osten Europas ein neuer Krieg droht, ist „Das letzte Fest“ auch noch von bestürzend tagespolitischer Aktualität.
Dass allerdings darüber hinaus auch noch Keti Klimiaschwili und Nino Tskitischwili diesen Vormittag musikalisch untermalen, mit so fremdartigen wie vertrauten Chansons zu sparsamer Gitarrenbegleitung, das verschränkt die erzählte Geschichte noch fast gespenstisch mit dem Sonntag im Thalia Theater.
Denn Klimiaschwili, das ist die Keti aus der Geschichte, die die Erzählerin erst dazu bringt, trotz des Krieges in den Keller hinabzusteigen und dort den traurigen, verstörenden, schönen Geschichten zu lauschen.
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Weil die Geschichten weitergetragen werden durch Klimiaschwilis Gesang, an einen Januar-Vormittag ins Theater. In dem man eigentlich erwartet hatte, eine Rede zu hören und jetzt über kluge, politische, und intime Literatur mitleidet.