Hamburg. In der Laeiszhalle waren Thomas Hengelbrock und die Balthasar-Neumann-Ensembles zu Gast. William Shelton stach heraus. Über den Abend.
Kurz bevor die h-Moll-Messe sich rundet, bevor Bach den Schlussstein für das Gewölbe setzt, das er zum Lobe Gottes errichtet hat, hält die Musik inne. „Agnus Dei“, singt der Countertenor William Shelton in der Laeiszhalle, begleitet nur von zögernden Akkorden im Continuo und beantwortet von den Geigen im Unisono.
Es ist vielleicht der stillste Moment des Werks. „Lamm Gottes, der du trägst die Sünde der Welt, erbarm dich unser“, lautet die deutsche Übersetzung des Textes. Es ist mehr als ein Gebet, es ist ein Flehen, und so gestaltet es Shelton. Da liefert sich ein Mensch seinem Schöpfer aus. Shelton singt mit einer Wärme, unangestrengten Klarheit und Ruhe, die zu Herzen gehen.
Konzertkritik: William Shelton ist der Star
Der junge französisch-britische Sänger ist der Star unter den Balthasar-Neumann-Solisten. Mit diesem Namen differenziert Thomas Hengelbrock, Gründer und Spiritus rector der „Balthe“-Familie, mittlerweile zwischen denen, die beim Balthasar-Neumann-Chor im Tutti mitsingen, und denen, die auch solistisch hervortreten. Obwohl das Programmheft die Namen der Solisten bei den einzelnen Arien nennt, ist es nicht ganz leicht, den Überblick zu behalten, denn Corona scheint auch hier kurzfristig Umbesetzungen gefordert zu haben.
Es ist gerade mal ein gutes Jahr her, dass Hengelbrock und die Seinen zuletzt in Hamburg mit der h-Moll-Messe zu Gast waren, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen. Im Dezember 2020 herrschte Lockdown, das Konzert konnte nur gestreamt werden. Die Künstler machten das Beste daraus und produzierten einen musikalisch wie optisch hinreißenden Film. In der Elbphilharmonie-Mediathek ist er noch zu finden.
Sopran eins klingt bisweilen inhomogen
Nun also live. Mit diesem Gefühl, wirklich dabei zu sein, das Klangbild beinahe anfassen zu können, und mit dem Risiko, dass auch mal was danebengeht. Der Chor gestaltet plastisch und bewältigt die irrwitzigen Tempi phänomenal beweglich. Nur der Sopran eins klingt bisweilen inhomogen und scharf.
So wechseln Momente der Kontemplation mit solchen der Zärtlichkeit oder der überschäumenden Freude. Das abschließende „Dona nobis pacem“ singt der Chor förmlich als Aufschrei. Das kontrastiert erschütternd mit dem festlich strahlenden D-Dur.
Konzertkritik: Schlussakkord wird ewig gehalten
Wie er es immer tut, hält Hengelbrock auch dieses Mal nach dem Schlussakkord die Stille für eine gefühlte Ewigkeit. Bis einer im Saal sie nicht mehr aushält und – ein wenig pädagogisch wirkt das – zu applaudieren beginnt. Die lautstarke Begeisterung passt nicht so ganz zur Würde eines Sakralwerks, aber darunter ist das tiefe Glück der Menschen zu spüren. Hengelbrock lässt die Solisten, Sänger und Musiker einzeln aufstehen. Einige ernten Jubelstürme, der Countertenor Shelton allen voran.
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Der Konzertmeister Daniel Sepec hätte mehr davon verdient. Ohne Aufhebens, aber mit beispiellos sublimer Gestaltung, hat er das Orchester durch den Abend eskortiert. Und die Sopran-Arie „Laudamus te“ mit dem unter Geigern berüchtigten Solo wurde zu einem Tanz bar aller Erdenschwere. Einem Tanz zur Ehre Gottes.