Hamburg. Die Französin gibt ein sprühend lebendiges Konzert beim NDR Elbphilharmonie Orchester und holt aus der Programmwahl so einiges raus.

Ein Sänger als Dirigent? Kommt gar nicht so selten vor und ist auch keine schlechte Idee, wenn man die Halbwertszeit beider Karrieren vergleicht. Zumal der Glamour der einen auf die Anfänge der anderen einzahlen kann. Bei der Französin Nathalie Stutzmann wirkt die Doppelrolle allerdings weder wie Masche noch wie Verlegenheit.

Denn zum einen ist die Frau mit der charakteristisch kellertiefen Altstimme, die sich als Barockinterpretin international einen Namen gemacht hat, auch als 56-Jährige noch im Geschäft. 2021 hat sie ein Album mit dem prägnanten Titel „Contralto“ herausgebracht, Gesang: Nathalie Stutzmann, musikalische Leitung: Nathalie Stutzmann. Und zum anderen hat sie ­Dirigieren seriös studiert. Ihr Lehrer war kein Geringerer als der Finne Jorma ­Panula.

Konzertkritik: Stutzmann gibt Debüt als Dirigentin

Gerade hat Stutzmann ihr Debüt am Pult des NDR Elbphilharmonie Orchesters gegeben. Pandemiebedingt etwas kleiner dimensioniert als ursprünglich vorgesehen. Dvorák und Beethoven liegen auf an diesem Abend. Nicht gerade sprühend originell, die Programmwahl, aber es kommt ja bekanntlich darauf an, was man draus macht.

Stutzmann macht einiges draus. Dvoráks „Slawische Tänze“ gehören zu den Selbstläufern des sinfonischen Standardrepertoires, aber die drei für diesen Abend ausgewählten klingen alles andere als heruntergenudelt. Die Tempi fließen elegant, zugleich platzieren die Beteiligten ein paar folkloristische Widerhaken im Ohr des Hörers. Begleitfiguren wie die schaukelnde Bewegung der Celli im ersten Tanz lassen sie kurz hervortreten. Es sind solche Details, die der Musik Atem und Körperlichkeit verleihen.

Eberle wirft sich in das virtuose Werk hinein

Natürlich tut Dvorák das Seine dazu, wenn er im zweiten Tanz vom Schmachten der Streicherkantilene innerhalb eines Moments zu dörflichem Ufftata wechselt, mit Posaunen und Becken, und dann wieder zurück. Stutzmann moderiert das mühelos und so flexibel im Zeitmaß, wie es die Musik braucht. Eine Sängerin eben.

Im gleichen Idiom geht es weiter bei Dvoráks Violinkonzert. Die Solistin ­Veronika Eberle wirft sich mitten hinein in das virtuose, dankbare Werk. Den Klang ihrer phänomenalen Stradivari, den Ausdruck, die Gestaltung lädt sie mit einer Energie auf, die unbedingt nur der Musik gilt und nicht ihrer Person. Selbst in den halsbrecherischsten Läufen ist sich Eberle nicht zu schade, ihren Part in den des Orchesters hineinzuflechten.

Konzertkritik: Stutzmanns Schlag etwas undeutlich

Hinreißend ihre Zwiesprache mit den Holzbläsern im langsamen Satz. Nur im rhythmisch verzwickten Finale geraten Orchester und Solistin stellenweise ins Schwimmen. Stutzmann hat Mühe, die Sache wieder einzufangen, was womöglich daran liegt, dass ihr Schlag metrisch manchmal undeutlich ist.

Für die zweite Hälfte waren ursprünglich die „Valses nobles et sentimentales“ und der Allzeit-Blockbuster „Boléro“ von Ravel angekündigt. Beethovens Zweite ist da um einiges schlanker besetzt, und schlank und spritzig spielt das Orchester sie auch, mit vielen Kontrasten und dynamisch wendig. Im langsamen Satz geht bisweilen der Zusammenhang etwas verloren, und die mozartmäßig offenen, kleinteiligen Figuren der Geigen klingen nicht durchweg homogen und pieksauber. Aber das Scherzo und das Finale nehmen dafür so richtig Fahrt auf. Feuer und innere Beteiligung teilen sich dem Publikum spürbar mit. Das ist es schließlich, wozu wir ins Konzert gehen.