Hamburg. Im Kleinen Saal teilen sich Musik und Wissenschaft an einem Abend die Bühne: zuerst ein Konzert, dann ein Vortrag. Über das Event.
Plötzlich gibt’s ein lautes PENG im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, und alle zucken zusammen. Ist wahrscheinlich nur ein durchgebrannter Strahler an der Decke. Passt aber – als Schuss oder kleiner Urknall – zur Einleitung von Dieter Rexroth, der gerade von Dissonanz, von Krieg und Unordnung spricht. Der Dramaturg der Philharmoniker versucht, dem Abend vorab einen schlüssigen Zusammenhang einzureden. Und das ist gar nicht so einfach.
„Chaos und Ordnung“: so heißt die gedankliche Klammer des Programms, in dem sich Musik und Wissenschaft begegnen. Dafür rahmt das Konzert einen wissenschaftlichen Vortrag mit zwei Werken von Schostakowitsch und Mussorgski, die allerdings keinen griffigen Bezug zum Thema haben. Also müht sich Rexroth, die beiden Stücke zum Gegensatzpaar zu erklären und vereinnahmt das achte Streichquartett von Schostakowitsch als Sinnbild für das Chaos – da es vom Besuch der kriegszerstörten Stadt Dresden inspiriert sei. Naja.
Konzertkritik: Sätze eng miteinander verknüpft
Musikalisch ist das Werk aus dem Jahr 1960 eher das Gegenteil von chaotisch. Weil die fünf Sätze durch ein wiederkehrendes Motiv eng miteinander verknüpft sind. Dmitri Schostakowitsch hat dem Stück seine Initialen eingeprägt, mit der Tonfolge D-S(Es)-C-H. Und das ist in der Aufführung mit einem Streichquartett der Philharmoniker – Hibiki Oshima, Myung-Eun Lee, Thomas Rühl und Saskia Hirschinger – sehr gut zu verfolgen.
Eindringlich durchlebt das Ensemble die emotionalen Aggregatzustände des Motivs, in denen nicht nur das Grauen des Zweiten Weltkriegs, sondern auch die persönlichen Ängste des Komponisten ihre Spuren hinterlassen haben. Als öffentlich geschmähter Sowjet-Künstler litt Schostakowitsch unter der ständigen Bedrohung von Leben und Existenz.
Interpretation versinkt in Düsternis
In diesen Dauerzustand der Beklemmung taucht das achte Quartett mit einer Klagevariante des D-Es-C-H-Motivs ein, bevor das lyrische Ich des Stücks sich in einen verzweifelten Kampf verbeißt, entkräftet zurücksinkt und brutale Achtel-Schläge einstecken muss. Diese Schläge hätte das Philharmoniker-Quartett noch härter und schwerer in die Saiten meißeln können. Und dennoch: eine packende Interpretation, die am Ende in Düsternis versinkt.
Dort knüpft der wissenschaftliche Teil des Abends an. Björn Stevens – Leiter der Abteilung für Atmosphäre im Erdsystem am Max-Planck-Institut in Hamburg – beginnt seinen Vortrag mit dem Dunkel des Chaos. Ein Gemälde von William Turner, projiziert auf die Rückwand der Bühne, ist der Ausgangspunkt des erhellenden Vortrags. Stevens, ein spleenig-genial wirkender Forschertyp, dem man selbst als blutigster Laie gebannt zuhört, erzählt vom historischen Wandel des Klima-Begriffs und der wissenschaftlichen Methoden.
Konzertkritik: Ungewissheiten als Chance begreifen
Wie sich die Auffassung des Klimas von einer lokalen Vorstellung bei den alten Griechen zu einer globalen Idee entwickelt. Und wie die Wissenschaft erst nach und nach gelernt hat, die Unvorhersehbarkeit des Phänomens zu akzeptieren und Ordnungsmuster im Chaos zu benennen. Eine Klarheit, wie wir sie wünschen würden, gibt es laut Stevens trotzdem nicht. Wir wissen zwar, dass das Klima wärmer wird und warum und dass das gefährlich ist – aber niemand könne exakt vorhersagen, was der Unterschied zwischen 1,5 Grad und zwei Grad Erwärmung im Detail bedeutet. Tja.
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Mit dem Aufruf, solche Ungewissheiten als Chance zu begreifen („Was für eine Gelegenheit, die Welt zu ändern!“), entlässt Stevens sein Publikum in die Pause. Bevor die zweite Hälfte ebenfalls raffiniert Erwartungen unterläuft. Gemeinsam mit der Pianistin Anne von Twardowski spielt das Quartett jetzt deren eigene Bearbeitung von Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ – und gibt dem Klassik-Hit aufregend neue Farben. Mit knarzenden und knirschenden Streichersounds und geheimnisvollen Klängen aus dem präparierten Klavier. Das Arrangement verwischt die Grenzen zwischen Ton und Geräusch; Strukturen scheinen sich aufzulösen und finden doch wieder in die gewohnte Ordnung zurück. Spannend!