Hamburg. Anna Wydra überzeugt mit intensiver Gitarrenrock-Energie, Wolfgang Müller bringt das Dazwischen zum Klingen. Die neuen Alben.
Die Absurdität des Daseins – gerade diesen Winter scheint sie erneut besonders präsent zu sein. Die junge Hamburger Musikerin Anna Wydra begegnet existenziellen wie nebensächlichen Merkwürdigkeiten mit einer wunderbar spröden Gelassenheit. „Quality Time“, der Eröffnungssong ihres wirklich tollen Debütalbums „The Absurdity of Being“, entfesselt eine Gitarrenrock-Energie, in der Unmut auf Lässigkeit stößt (La Pochette Surprise Records).
In den 90er-Jahren hieß dieser schön geschlenzte Sound mal Slackertum. Und so weht einen bei Anna Wydra auch ein gewisser eigensinniger Geist im Stile von Juliana Hatfield und Elastica an. Doch die Facetten reichen wesentlich weiter. Im Titelsong etwa zählt sie zu Bossa-nova-inspiriertem Pop eine ganze Reihe an Phänomenen auf, die unseren heutigen Zeitgeist durchziehen – Hashtags, Weltschmerz, Bierpong, Flatearth.
Albumkritik: Songs entfalten Schönheit schleichend
Anna Wydra selbst nennt ihre Musik „melancholic stray cat pop“. Und tatsächlich entfalten zahlreiche der Songs ihre Schönheit fein und schleichend, dem Streunen einer Straßenkatze nicht unähnlich. Über melodiöse Details an Geige und Melodica lässt Anna Wydra ihre Stimme stromern. Irgendwo zwischen Clubkultur und Schlafzimmerintimität. Aber immer eindringlich.
Einen ganz eigenen Fokus auf die Welt hat auch der Hamburger Singer-Songwriter Wolfgang Müller. Zu den schwebenden Melodien seiner Akustikgitarre singt er vom Gewicht, das auf den Menschen liegt. Und vom steten Aufbruch – mit neuen Worten, mit einer anderen Sprache, mit einer verschobenen Perspektive. Auf seinem siebten Album „Die Nacht ist vorbei“ beobachtet Wolfgang Müller nach innen und außen, vor und zurück (Fressmann). Vor allem aber bringt er das Dazwischen zum Klingen. Das Haltlose und Unsichtbare, den Selbstbetrug und die Schwankungen, die versteckten Wunden und unausgesprochenen Hoffnungen.
Planten un Blomen wird zum New Yorker Central Park
Das Klavier ist neu hinzugekommen in seiner Kunst. In seiner Stimme wiederum liegen Skepsis und Melancholie, auch eine gewisse Müdigkeit, doch scheinen diese Zustände stets durchwirkt zu sein von einer großen Wärme und Ruhe. In einem Song wie „Zu Rosa“ schimmert der Wunsch durch, sich einfach auszuklinken aus der Reizüberflutung dieser Tage: „Synchronisier das Gezeter/mit Vogelgezwitscher“.
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In „Wolken“ feiert er den kleinen Eskapismus, wenn Hamburgs Planten un Blomen kurz zum New Yorker Central Park wird. Und dann ist da noch ein Stück wie „Verschwinden“. Gesprochene Lyrik zum Piano. Mit hintersinnigen Zeilen wie diesen: „Da wo jeder hinsieht/steht immer der Sündenbock/ aber niemals der Taschendieb“. Das hallt nach.