Hamburg. Uraufführung des Kindermusicals im First Stage Theater. Es ist Bergs Vermächtnis, der Mitte Januar überraschend gestorben war.
„Ich möchte euch etwas geben, eine Geschichte für eure Herzen“, ruft die Erzählerin namens Altona vor der Kulisse ebenjenen Bahnhofs den vorbeieilenden Reisenden zu. „Aber keine Angst: Ihr verliert keine Zeit, ihr gewinnt einen Moment.“
So lässt Christian Berg, der Mitte Januar im Alter von nur 55 Jahren überraschend nach kurzer Krankheit die Bühne des Lebens verlassen hat, sein „Hamburger Dschungelbuch“ beginnen. Es war sein letztes großes Herzensprojekt und es wurde sein Vermächtnis.
Das "Hamburger Dschungelbuch" ist eine kraft- und fantasievolle Meisterleistung
Und so schenkt Deutschlands „Kindermusical-König“, wie Christian Berg oft genannt wurde, seinen kleinen und großen Fans zum Abschied eine weitere Geschichte für deren Herzen. Und einmal mehr unvergessliche Theatermomente, verteilt über 90 Minuten.
Im First Stage Theater feierte die Inszenierung, die schon vor zwei Jahren ganz kurz vor der Premiere gestanden hatte und dann wegen der Coronapandemie verschoben werden musste, am Freitag eine umjubelte Uraufführung. Nur elf Tage nach Christian Bergs Tod.
Der Autor und Regisseur hatte sich gewünscht, dass das Ensemble, seine „ Theaterfamilie“, die Produktion dennoch unbedingt wie geplant aufführt. „Diese Premiere ist für dich, mit uns wirst du weiterleben“, versprach Alexandra Kurzeja, die die Regie auf Wunsch ihres künstlerischen Ziehvaters übernommen hatte, noch vor der ersten Szene in einer kleinen Ansprache.
Christian Berg verlegte Story aus dem Urwald in den Hamburger Großstadtdschungel
Und dieses Musical, das viele mitreißende Ohrwürmer (Musik: RADAU!) bereithält, ist ein „echter Berg“, die Handschrift des kreativen Kopfes ist unverkennbar: So hat er die bekannte Geschichte, 18 Jahre nachdem er sie zuletzt in der Originalversion auf die Bühne gebracht hatte, kurzerhand aus dem Urwald in den mitunter mindestens so gefährlichen Großstadtdschungel verlegt, in dem eine Affenbande den Kiez unsicher macht und eine falsche Schlange zwischen Blankenese und Jungfernstieg verbal Gift spritzt.
Typisch für Christian Berg, den Erfinder des männlichen Fee „Rumpelröschen“, ist das Spiel mit Klischees und Geschlechterrollen. So ist Mowgli (erfrischend: Silvia Hofmann) ein Flüchtlingsmädchen, dessen Mutter zurück ins kriegsgebeutelte Heimatland abgeschoben wurde. Ein bisschen Sozialkritik muss sein.
Mowgli wächst in einem Hunderudel auf, deren Mitglieder, herrlich liebevoll gezeichnet sind: Die adelige Hündin Ada von der Ise mit ihrem in weißen, perlenbesetzten Fell und den Ugg Boots-Pfoten, träumt sich beispielsweise dauernd zu den Menschen an den Eppendorfer Baum...
Die Inszenierung ist eine kraft- und fantasievolle (Bühne und Kostüme: Ulrike Engelbrecht) Meisterleistung der insgesamt fünf Schauspieler, die jeweils in mehrere Rollen schlüpfen - unter anderem auch in die beiden, die eigentlich Christian Berg selbst hätte übernehmen sollen.
Kurzweiliger Theaterspaß für Kinder ab vier Jahren
Torben Padanayi gibt nicht nur den fiesen Tiger Shir Khan, der Mowgli verfolgt, er glänzt auch als prolliger Affenclan-Boss („Ich habe Hamburg längst im Griff. Doch eines fehlt, du weißt es genau: ich wäre gern Präsident vom HSV!“) und sanfter Panther Baghira.
Absolut hinreißend ist Garance Schlüter-Bazile als gemütliche „ BÄRkassen-Kapitänin“ Balou, die dem Dschungelkind in breitester Hamburger „Dittsche“-Manier beibringt, wie man bei den Menschen punktet: „Sag einfach Moin und jeder wird sich freuen.“
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Produktionsleiterin Leonie Fuchs ist mal charmante Hundemama, mal eilige Joggerin und Multitalent Alexandra Kurzeja ist vor allem im hautengen Schlangenkleid als Kah („ich war gerade bei Ka-rstadt und Ca-rtier shoppen“) herrlich lustig. Überhaupt hält der durchweg kurzweilige Theaterspaß für Kinder ab vier Jahren viele kreative Einfälle bereit: So liefern sich Shir Khan und Mowgli ein „Hamburg-Quiz“, bei dem die Zuschauer der Publikumsjoker sein dürfen.
Die Möwen-Kumpel Hin und Nerk können Lieblinge des Stückes werden
Puppenbauer Matthias Weber hat mit den beiden „Luftratten“ Hin und Nerk zudem zwei Möwen-Kumpel erschaffen, die das Potenzial haben, zu den Lieblingen des Stücks zu werden. Die Botschaft zum Ende: „Hamburg ist bunt und gehört allen, die diese Stadt besser machen. Egal, woher sie kommen.“ Und es ist, als höre man Christian Berg sprechen.
Jedes Jahr, so hat sich das Ensemble vorgenommen, soll eines seiner Märchen in Hamburg gespielt werden. Ab 2023 wird zudem bundesweit der Christian-Berg-Preis für Familientheater ausgelobt. Sein Dschungelbuch selbst jedenfalls hat jede Auszeichnung verdient.
„Das Hamburger Dschungelbuch“, First Stage Theater, ab 4 Jahre, bis 24. April, Karten ab 17 Euro.