Hamburg. Die Gaechinger Cantorey ist mit Werken von Haydn und Bach ein Erlebnis. Im Großen Saal gab es ein besonderes Glanzlicht.
Die hochauflösende Akustik der Elbphilharmonie ist Risiko und Chance zugleich. Weil sie jedes Klangereignis gestochen scharf abbildet, wirken selbst kleinste Störgeräusche wie herangezoomt. Aber dafür treten die musikalischen Feinheiten eben auch wunderbar klar zu Tage. Das eröffnet viele Möglichkeiten. Wer sie zu nutzen versteht, wie der Dirigent Hans-Christoph Rademann, kann hier einen beglückenden Reichtum entfalten.
So wie kurz vor Schluss von Haydns Nelsonmesse, wo die Bitte um Frieden, „Dona nobis pacem“ plötzlich a cappella ertönt. Da formt Rademann mit dem Chor seiner Gaechinger Cantorey ein Piano von innigster Schönheit. Nackenhaare stellen sich auf. Und es geht noch weiter zurück. Der letzte a cappella-Einsatz des Chores kommt fast stimmlos, wie ein warmes Flüstern.
Elbphilharmonie: Dirigent Rademann modelliert packend
Die Interpreten zaubern, und der Große Saal zaubert mit. Ein bewegender Moment, ganz intim. Hier ist die menschliche Botschaft der Messe von 1798 zu spüren, gezeichnet vom Schrecken der napoleonischen Kriege. Das Kyrie bekommt einen drängenden, flehentlichen Charakter; mit markanten Rhythmen von Pauke und Trompeten inszeniert Haydn Anklänge an die Militärmusik.
Hans-Christoph Rademann modelliert die Stimmungswechsel der Messe plastisch und packend. Mit den 36 Sängerinnen und Sängern seines hellwachen Chores, mit denen er eine breite Palette an dynamischen Schattierungen auffächert und immer wieder berückende Farben findet. Mit dem nicht minder starken Orchester der Gaechinger Cantorey, das auf Historischen Instrumenten transparent und lebendig spielt.
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Und mit dem Solistenquartett, in dem die Sopranistin Sophia Brommer besondere Glanzlichter setzt. Zu Beginn der Messe – wo sie zunächst unbeschwert zwitschert und dann dramatische Koloratursalven wie eine Art Hilferuf ausstößt – aber auch schon vorher, im ersten Teil des Konzerts.
Elbphilharmonie: Heroischer Ernst und delikater Witz
In der Sopranarie aus dem Miserere von Johann Christian Bach betört Brommer mit ihrem herrlichen Timbre, das Leuchtkraft und Buttercremesüße vereint. Weil Rademann und sein Orchester sensibel musizieren, müssen weder Brommer und ihre Solistenkollegen – Anke Vondung, Maximilian Schmitt und Jochen Kupfer – noch die Mitglieder des Chores jemals draufdrücken. Die Vokalstimmen kommen mühelos durch, wenn ein Dirigent den Klang sensibel austariert.
Aber Rademann kann es auch ausschließlich instrumental. In Haydns Sinfonie Nr. 95 erkundet er mit seinem Orchester alle Facetten von heroischem Ernst über delikaten Witz bis zum rumsenden Dorfkapellencharme – und demonstriert auch hier noch einmal, was echte Nuancenvirtuosen in diesem Saal aus ihren Chancen machen können.