Hamburg. NDR-Chefdirigent Gilbert gratulierte der Elbphilharmonie mit Musik von Adams, Adès und Salonen. So mutig war das Jubiläumskonzert.

Von einem „normalen“ Jubiläums-Konzert, mit den handelsüblichen Dingen, die man dort so tut oder doch eher lässt, war dieser Abend extrem weit entfernt: „Arc-en-ciel“, das älteste Stück, das man dem Publikum aus Anlass des fünften Elbphilharmonie-Geburtstags präsentierte, stammte aus der Mitte der 1980er; eine der früheren, brachial schweren Klavier-Etüden des Wahl-Hamburgers György Ligeti, die Kirill Gerstein so leicht und überzeugend raffiniert als Zugabe spielte, als wäre diese sich in höchste Flügel-Höhen verflüchtigende Regenbogen-Vertonung nur eine unscheinbare Fingerübung.

Das jüngste Werk: gerade mal drei Jahre alt, ein Klavierkonzert des Briten Thomas Adès. Ein Stück, das wirkte wie eine Essenz aus etlichen Personalstilen, mit Material, Einfallsreichtum und Überschwang genug für mindestens vier Runden: Gershwins Swing schien ebenso durch wie Prokofiews zupackende Energie, Strawinskys Rhythmusgefühl oder Messiaens Farbempfinden.

Elbphilharmonie: Jubiläums-Konzert mit Trompetern im Publikum

Doch all das hatte Adès sich unglaublich clever zu eigen gemacht ohne durchzupausen. Und Gerstein nahm diese Herausforderung mit einer Spielfreude an, die erstaunlich war. Angenehm erstaunlich war auch, wie geschmeidig dieses Konzert die Möglichkeiten eines millimetergenau sortierten Hochdruck-Durcheinanders ausreizte.

Nichts gediegen „Klassisches“ weit und breit jedenfalls, kein wohlfeiles Aufwärmen von pompösem Repertoire-Erbgut aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Auch kein modernes Feigenblatt-Stückchen, um so das schlechte Gewissen zu beschwichtigen, man täte nichts fürs Hier und Jetzt. Ausschließlich Zeitgenössisches gab es auf die Ohren, jene Sorte Musik, die in sehr vielen anderen Konzerthäusern schon im Alltagsbetrieb behutsam zu dosieren ist, damit auch ja niemand sich verschreckt fühlt.

Der passendere Sammelbegriff ist aber: zeitgemäße Musik. Musik, die auch mit einigen Jahren auf dem Tacho sehr gegenwärtig klingt. Keine Unruhe im Saal, kein Murren oder Erbosteres über das Nichterfüllen von konventionellen Erwartungen. Schon diese mutige Haltung allein machte das Konzept, mit dem das NDR Elbphilharmonie Orchester seinem Erstwohnsitz zum fünften Geburtstag gratulierte, zum Erfolg.

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Jubiläums-Konzert: Surround-Saal wurde auch aus den Rängen bespielt

Für die einstimmenden Worte auf diesen sehr besonderen Abend war Bürgermeister Peter Tschentscher kurz zugegen. „Nach fünf Jahren können wir sagen: Die Elbphilharmonie hat ihr Versprechen gehalten“, lautete, wenig überraschend, das Ende seiner Bilanz. Generalintendant Christoph Lieben-Seutter legte in seiner Rede noch einen drauf und wurde geradezu pathetisch: „Sie hat mehr Menschen glücklich gemacht als andere Bauwerke in Jahrzehnten. In diesem Haus macht die Musik aus jedem Tag ein neues Fest.“

Wie schon bei der Eröffnung vor fünf Jahren hielt es das eigentliche Geschehen, die Produktion von Tönen, nicht auf dem Bühnenboden. Der Surround-Saal wurde auch jetzt wieder aus den Rängen bespielt, um die Klangwirkung effektvoll zu streuen und zu verstärken. Für John Adams’ „Tromba lontana“ hatten sich zwei NDR-Trompeter in oberen Publikums-Etagen postiert, einige Zuschauerreihen tiefer spielte sich das Tutti für das zweite Adams-Stück warm: „Short Ride In A Fast Machine“, einen seiner größten Hits, auch, weil man dort auf der kurzen Distanz einiger Minuten staunend besichtigen kann, wie ein Orchester sich bis an den Rand der Hysterie zu spielen hat, ohne komplett aus der Kurve zu fliegen.

NDR-Chefdirigent Alan Gilbert, aus seinem Umgang mit US-Orchestern das lässige Jonglieren mit virtuosem Entertainment gewohnt, liegt dieses Repertoire; die Rhythmen am Laufen zu halten, ist ein Vergnügen, bei dem auch Gilberts Hamburger Orchester die Gratwanderung als mitreißenden Kollektiv-Spaß darstellte.

Elbphilharmonie: Großer Wow-Effekt dank „Wing On Wing“

Für den größten Wow-Effekt allerdings sorgte Esa-Pekka Salonens „Wing On Wing“, maßgeschneidert für den Saal und die Akustik der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, die – wie Jahre später die Elbphilharmonie – von Yasuhisa Toyota auf äußerste Klarheit hin extremdesignt wurde. Salonen, auch als Dirigent ziemlich unerreicht, war persönlich anwesend, überließ es aber Gilbert, bei dieser Achterbahnfahrt die Lenkung zu übernehmen. Nach dem kurzen Adams folgte damit ein ausgiebiger „crazy ride in an even bigger machine“.

Noch mehr tosende Vielfalt mit den sirenengleich darüber hinweg zwitschernden Sopranistinnen Anu und Piia Komsi, die ebenfalls aus dem Saalhimmel herab sangen. Ein ständiges Überangebot an effektprallen Höreindrücken und surreal schillernden Klang-Mixturen, kreuz und quer, virtuos aufgeschäumt, durch die Instrumentengruppen sausend. Kein Takt, in dem man sich nicht fragte: Was genau höre ich da, wie macht Salonen das bloß? Moderne Musik, ideal für alle, die dachten, sie würden moderne Musik nicht ertragen können. Begeisterter Beifall für alle und alles, und erst recht für Salonen.

Ein Mitschnitt des Konzerts ist auf elbphilharmonie.de abrufbar. Am 20.1. dirigiert Salonen das erste seiner fünf NDR-Konzerte in der Reihe „Multiversum Esa-Pekka Salonen“.