Hamburg. Carsten Brosda, Christoph Lieben-Seutter und Alan Gilbert sprachen über den positiven Einfluss des Konzerthauses auf die Stadt.

Die ersten drei Minuten waren ein flott geschnittener Schnelldurchlauf durch das erste halbe Brutto-Jahrzehnt: Menschen, Töne, Sensationen. Was bisher geschah. Alles – bis auf die Corona-Zwangspause und den damit verbundenen Absturz aus dem Dauer-Hoch der Besucherrekorde – war formschön drin in dem hauseigenen Werbespot, der nicht annähernd wiedergeben konnte, wie viele musikalische Berühmtheiten aus allen Stil- und Himmelsrichtungen seit dem 11. Januar 2017 in einem 110 Meter hohen Gebäude an der Westspitze der Hamburger HafenCity dafür gesorgt hatten, dass Menschen anders aus ihren Konzerterlebnissen herauskamen, als sie dort hineingegangen waren.

Die Rückwand des Kleinen Saals der Elbphilharmonie war gestern die Projektionsfläche für ein Jahrhundert-Projekt, von dem die drei Herren auf der Bühne nicht unisono, aber doch in harmonischer Engführung der Einzelstimmen in höchsten Tönen schwärmten. Keine Dissonanz, nirgends.

Konzerthaus in Hamburg wertete die Stadt auf

Als erster erinnerte Kultursenator Carsten Brosda mit einem klaren Leit-Motiv daran, wie reich insbesondere die musikalische Tradition der Kulturstadt Hamburg schon immer war – aber auch daran, dass die gleiche Stadt sich immer unter Wert dar- und angestellt hatte. Aus, vorbei. „Wir fühlten uns alle etwas wohler“, so sei sehr zu Recht in dem Zusammenschnitt der ersten fünf elbphilharmonischen Jahre ein Tenor gewesen, am Ende so vieler beglückender Konzerte.

Über die nach der Eröffnung kurz aufgeflammte Debatte, wie schlimm es doch sei, wenn zwischen Sätzen einer Sinfonie ehrfurchtsstörend geklatscht würde, habe er sich gefreut. War diese Debatte doch ein schöner Beleg für die sozialästhetische Dialektik, dass offenbar ein Großteil des Publikums der Elbphilharmonie aus Menschen bestand, die bislang keine Berührung mit einem Großteil des Musikangebots und den angeblich so heiligen Do’s and Don’ts des klassischen Musikbetriebs gehabt hatten. Genau diese Besucherinnen und Besucher hätten damit den hörbaren Beweis verkörpert, dass dieses Konzerthaus nun auch das ihre sei.

Brosda fand eloquent-grundsätzliche Worte

Und auch für den dritten wesentlichen Aspekt der allgemeinen Erfolgsbilanz fand Brosda eloquent-grundsätzliche Worte. „Landmark buildings“, ikonische Schauwert-Bauwerke also, ebenso schnell wiedererkennbar wie schnittig vermarktbar, das sei als Etikett zwar nicht ganz sein Fall. Aber, großes Aber: Die Elbphilharmonie sei jetzt nun mal ganz eindeutig eine Symbol für Kultur in Deutschland, mehr noch, ein Symbol der Idee dessen, was Deutschland für die Zukunft anstrebe. Gemeint war damit auch: Kölner Dom, das Brandenburger Tor und Schloss Neuschwanstein, allesamt deutsche Repräsentations-Relikte aus früheren Jahrhunderten, müssen weiterhin ganz tapfer sein und sich mit ihren niedrigeren Tabellenplätzen begnügen.

Kultursenator Carsten  Brosda (li.), NDR-Chefdirigent Alan Gilbert und Generalintendant Christoph Lieben-Seutter (r.) im Kleinen Saal.
Kultursenator Carsten Brosda (li.), NDR-Chefdirigent Alan Gilbert und Generalintendant Christoph Lieben-Seutter (r.) im Kleinen Saal. © dpa | Marcus Brandt

Alan Gilbert, als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters der Residenz-Maestro des Konzerthauses, betonte anschließend energisch, dass sich kein anderer Saal auf der Welt trauen würde, sein erstes großes Jubiläumskonzert ausschließlich mit zeitgenössischer Musik (hier: John Adams, Thomas Adès, Esa-Pekka Salonen) zu bestücken. Er habe ohnehin auch nie daran gedacht, dass es Sinn machen würde, programmatisch zurück zu blicken. Gilbert zitierte dazu noch Salonens Kommentar, als er durch ihn vom NDR-Programmzettel erfuhr: „Wow...!“

„Musik wurde plötzlich ein wichtiger Teil ihres Lebens“

An Generalintendant Christoph Lieben-Seutter war es, nach dem Grundsätzlichen und dem Visionären den Rückblick zu liefern. Ein weiteres Mal zu erzählen, wie verrückt alles damals begonnen habe. Die vierstelligen Mondpreise für die ersten Konzertkarten auf dem überhitzten Schwarzmarkt. Und, vor allem, der Wandel der Menschen, die Abend für Abend ins Haus drängten: „Musik wurde plötzlich ein wichtiger Teil ihres Lebens.“ Und seine Aufgabe sei es nun mal, Menschen zu überraschen.

In der Durchführung des dreistimmigen Hauptthemas kam Brosda dann, es nützte ja nichts, auch auf das Themenfeld Zahlen, Bilanzen & Bares zu sprechen. Konkrete Berechnungen, wie viel die Elbphilharmonie durch ihr Da-Sein der Stadt in Euro und Cent schon gebracht habe, also, anders ausgedrückt: wie viel von dem vielen, dem sehr vielen Geld, das in sie gesteckt wurde, inzwischen wieder reingekommen sei ins Stadtsäckel? Nichts Genaues wisse man dazu nicht, erst recht nicht, weil Corona ja in den letzten Jahren jede Art von verlässlicher Berechnungsgrundlage durch schnell wechselnde Katastrophenlagen zunichte gemacht habe.

Zusätzliche Probenräume statt Parkplätze

Aber: „Das ist für mich auch nicht der Punkt“, erklärte Brosda. Wichtiger als jeder Soll-und-Haben-Plan sei doch die Tatsache, wie sehr die Stadt ideell vom Sinneswandel durch die Elbphilharmonie profitiert habe. „Wenn man Begeisterung für die Kultur weckt, steigt die Nachfrage.“ Und: Der Blick von außen – sicher oft staunend, begeistert oder wohl auch schlichtweg neidisch – „verändert vielleicht auch den Blick auf uns selbst.“

Bei der Frage nach größeren, grundsätzlichen eigenen Fehlern in den Jahren 1 bis 5 legten alle drei Redner kurz eine Generalpause ein. Doch immerhin gab Hausherr Lieben-Seutter zu Protokoll, dass ihm die fürs Parken verbaute Fläche als weitere Möglichkeit für zusätzliche Probenräume lieber gewesen wäre; damit hätte der engst getaktete tägliche Ablaufplan in den Sälen sicher entlastet werden können. Und auch die Menge der Fahrstühle – sowohl im öffentlichen wie auch im Backstage-Bereich – sei so gerade eben ausreichend. Doch es ist ja jetzt, wie es ist. Und wirklich Schlimmeres gibt es wohl auch.

Konzerthaus in Hamburg muss mit Leben gefüllt werden

Der perspektivisch grundsätzlichste Satz, die Coda der knapp einstündigen thematischen Arbeit also, kam vom Musik-Praktiker Gilbert. Grandiose Architektur, Spitzenleistung, alles sehr schön und sehr gut. Aber, ganz schlicht und gar nicht einfach: „Am Ende des Tages ist die Elbphilharmonie ein Gebäude, das mit Leben gefüllt werden muss.“

Das Jubiläumskonzert des NDR Elbphilharmonie Orchesters (11. Januar / 12. Januar, jeweils 20 Uhr) wird am 11. Januar im Livestream auf www.elbphilharmonie.de, www.ndr.de/eo und in der NDR EO App übertragen sowie von NDR Kultur live im Hörfunk ausgestrahlt. Der Mitschnitt steht im Anschluss online zur Verfügung und wird außerdem am 15. Januar, 22.45 Uhr im NDR Fernsehen ausgestrahlt. Bereits um 21.45 Uhr ist dort die Doku „Elbphilharmonie – von der Vision zur Wirklichkeit“ zu sehen. Weitere Infos zu den Konzerten der Jubiläumswoche: www.elbphilharmonie.de