Hamburg. Die Barockoper „Die Geduld des Sokrates“ von Telemann wirkt heute einigermaßen seltsam – und ist trotzdem einen Besuch wert.

In Zeiten des Genderns und der Gleichberechtigung wirkt so ein Sujet um heiratswillige und noch dazu streitsüchtige Frauen, die in der Barockoper „Die Geduld des Sokrates“ den klugen Philosophen und gleich noch zwei Prinzen in den Wahnsinn treiben, schon etwas schräg. Vor fast genau 300 Jahren, als Georg Philipp Telemann mit dieser Oper im Theater am Gänsemarkt seinen Hamburger Einstand gab, sah man das anders. Da feixte man über Xantippe und Amitta, die einer sonderbaren Bestimmung des Athener Rats folgend in einer Doppelehe mit dem Denker lebten und sich wegen Nichtigkeiten dauernd in die Wolle kriegten.

Anlässlich des Werkjubiläums brachte die rührige Historische Oper am Gänsemarkt am Montag ein sogenanntes Pasticcio mit Teilen aus Telemanns Oper, aber auch Musik von Antonio Draghi und Johann Heinrich Schmelzer aus dem 17. Jahrhundert im Kleinen Saal der Elbphilharmonie konzertant zur Aufführung. Musikalisch war das mit dem Hamburger Barockorchester Schirokko und acht exquisiten Sängerinnen und Sängern ein Erlebnis. Dramaturgisch aber trat das Stück dann irgendwann auf der Stelle, weil sich die stark typisierten Figuren ja auch nicht weiterentwickelten und das szenische Spiel nun mal fast ausgeblendet war.

Elbphilharmonie: Eine aus der Zeit gefallene Barockoper

Für Farbe sorgte allein das per Video auf eine Leinwand projizierte Bühnenbild, das der pfiffige Geschäftsführer der Oper am Gänsemarkt, Ilja Dobruschkin, von zwei neunten Klassen der Stadtteilschule in Wilhelmsburg und dem Gymnasium „In der Wüste“ in Osnabrück mit Hilfe des Bremer Produktionsstudios Urbanscreen hat herstellen lassen. Die auch bei der Aufführung anwesenden Jugendlichen hatten dorische Säulen der Antike gezeichnet, Alleen von Fruchtbäumen und Innenräume, in denen bunt bedeckte Pritschen neben Regalen mit Papyrusrollen zu sehen waren. Diese Elemente wurden wie im richtigen Theater hier auf Video von oben oder den Seiten ins Bild geschoben.

Alle Rezitative des Pasticcios waren der originalen Telemann-Vorlage entnommen. „Die Aufführung am Montag ist aber ein Unikat“, berichtet Ilja Dobruschkin, „denn es ist eine Mischung aus der Musik von drei oder sogar vier Komponisten: Draghi, Schmelzer und Telemann, dazu eine der Arien bei Draghi, die der Kaiser Leopold I. selbst geschrieben hat.“

Trotz guter Absichten: Der weise Sokrates steht als Tölpel da

Und diese Arien hatten es in sich. Ein Höhepunkt war zum Beispiel die Koloraturarie „Deine gold’nen Flügel schwinge, Liebes-Gott“ von Rodisette und Edronica mit Elisabeth Breuer und Kerstin Dietl, die um die Gunst eines wenig entscheidungsfreudigen Prinzen (sehr gut vom Tenor Simon Bode gesungen) buhlen. Auch der Countertenor Luca Segger als ebenfalls liebesbedürftiger Antippo oder der Münchner Bariton Sebastian Myrus in der Titelrolle überzeugten stimmlich.

Am Ende blieb die Erkenntnis, dass die Männer, besonders aber der angeblich so weise Sokrates, im Alltag oft versagen und trotz guter Absichten und kluger Einfälle doch als Tölpel dastehen.