Hamburg. Sylvain Cambreling dirigiert Symphoniker mit Werken von Hosokawa, Saint-Saëns und Bizet in der Laeiszhalle – klar und etwas rustikal.
Seit einiger Zeit schon werden Klassik-Konzerten gern blumige Überschriften vorangestellt, um das hehre Bindegewebe dramaturgischer Gedankengänge anschaulich zu verdeutlichen. Meistens ist das Wortgeklingel ebenso pauschal wie egal.
In seltenen Fällen aber geht es so skurril schief wie beim Symphoniker-Konzert an diesem Sonntag: „Föhnwolken der Ferne“, dieser Alliterations-Ausrutscher sollte offenbar die größte Gemeinsamkeit einer Meditation über die Tsunami-Katastrophe in Japan, eines virtuos moussierenden Klavierkonzerts von Camille Saint-Saëns und Bizets durch und durch harmlos fröhliche 1. Sinfonie darstellen. Nun ja. Wichtiger ist letztlich doch auf’m Platz.
Lucas Debargue spielt Debüt in der Laeiszhalle
Als hochinteressanten Gast hatte Chefdirigent Sylvain Cambreling dort den Pianisten Lucas Debargue zu bieten, der nach seinen zwei Runden mit Repertoire-Krachern von Tschaikowsky und Ravel in der Elbphilharmonie nun sein Debüt in der Laeiszhalle absolvierte. Mit einem Show-Stück, das auf dieser Seite des Rheins als Rarität gilt: Im fünften und letzten Saint-Saëns-Konzert darf der Solist in den Ecksätzen beherzt vor sich hin brahmsen und später turbulent liszten, beides mit französischer Leichtigkeit angereichert und immer wieder durchgelüftet.
Er muss sich in spätromantische Selbst-Verzückung spielen. Dafür war Debargue, mit einer ebenso rasanten wie druckstarken Spieltechnik gesegnet, genau der Richtige. Reizend, wie er schon im ersten Satz andeutete, wie viel Tempo er machen und gleichzeitig halten kann. Brillant, wie effektstark die orientalischen Anspielungen des Ägypten-Urlaubers Saint-Saëns, denen Opus 103 seinen Beinamen „Ägyptisches Konzert“ verdankt, herausstellte. Und im Finale des Finales hielt der Flügel dem Belastungstest gerade noch stand.
Cambreling modelliert mit eindringlicher Klarheit
Ein drastischerer Kontrast als die Entfernung zwischen Toshio Hosokawas „Meditation to the victims of Tsunami (3.11)“ und Bizets Sinfonie-Einzelstück ist kaum denkbar. Einerseits düsteres Grundgrollen, durchbrochen von Percussions-Querschlägern und grell aufheulenden Streichern. Eine Klangfläche, die in sich zusammenbricht, überrollt wird von höheren, anderen Mächten, wo hilflos gelitten wird, bis der Schicksalsschlag verklingt. All das modellierte Cambreling mit eindringlicher Klarheit.
- Kleine musikalische Freudehüpfer mit Hengelsbrocks Chor
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Und dann, nach der Pause, das reine, unbeschwerte, von keinerlei Vorzeichen getrübte C-Dur der einzigen Bizet-Sinfonie. Hier bekam Cambreling sein norddeutsches Orchester nicht so recht zur atmosphärisch angemessenen Mitarbeit motiviert. Das Tänzeln, die charmanten Flirts mit dem Rhythmus, die gekonnten kleinen Nachlässigkeiten hier und da, punktgenau, die kamen zu kurz. Walzer-Andeutungen im zweiten Satz wurden stramm durchbuchstabiert, anstatt sie in liebliche Drehungen zu schicken. Alles etwas konkret, zu rustikal fast.
Lucas-Debargue-CD: „Zal – The Music of Milosz Magin” Mit Gidon Kremer und der Kremerata Baltica (Sony Classical). Konzert: 21.4: Recital mit Werken von Franck, Ravel, Skrjabin u. a., Elbphilharmonie, Kl. Saal.