Hamburg. Zum Abschluss des neuen Festivals gab es Schuberts „Winterreise“ mit Filmbegleitung. Ein ungewöhnlicher Konzertabend im Kleinen Saal.

Kein anderer Liedzyklus steht bei Sängern so hoch im Kurs wie Schuberts „Winterreise“. Obwohl in den Gedichten von Wilhelm Müller zig Anspielungen auf die Restriktionen des Metternichschen Polizeistaates um 1820 stecken, haben die 24 Lieder um die seelische Erstarrung eines „Winterreisenden“ eine solche universelle Qualität, dass sich bis heute nicht nur junge Sänger an den Zyklus aller Zyklen wagen, sondern dass es auch viele Bearbeitungen gibt – mit Instrumenten von Posaune bis Gitarre, als Vokal- oder Streichquartett, als Theatralisierung und mehr.

Insofern stand das Abschlusskonzert des neuen Hamburger „Nordlied“-Festivals mit dem fantastischen Bassisten Tareq Nazmi im Kleinen Saal der Elbphilharmonie in guter Tradition. Dabei blieb es seinem Motto „Hybride“ – Lied mit anderen Kunstformen zu kombinieren – treu. Nach Pop, Schauspiel oder Poetry Slam wurde Schuberts Klassiker jetzt mit den abstrakten Filmen der Hamburger Künstlerin Miriam Endrulat unterlegt.

„Nordlied“-Festival in der Elbphilharmonie: Filme lenken etwas ab

Endrulat bearbeitet 16-Zoll-Filme, bemalt sie vielfarbig, ritzt und kratzt auf ihnen. Da entstehen unterschiedlichste Formen und Schattierungen, die in ausgeklügelten Rhythmen ineinanderfließen. Das war bei der „Winterreise“ auch gut mit dem Tempo der Lieder abgestimmt. Da flimmerten Farbflächen, Stäbchen, Kreise oder Tupfer. Man hatte Raum zur Assoziation, konnte beim „Lindenbaum“ an Baumstämme denken, und bei der „Wasserfluth“ an Schnee oder Regen.

Dennoch, so schön die abstrakten Bilder anzusehen waren, sie lenkten leider etwas von der Musik ab. Auch ohne die Filme hätte man dem warmen und sonoren Bass von Tareq Nazmi und seiner sensiblen Klavierpartnerin, Festival-Leiterin Henriette Zahn, gebannt gelauscht. Nazmi wirkte frei und souverän. Dabei überrollte er seine Zuhörer nicht mit der Macht seines durchaus opernhaften Basses, sondern er hatte ein gutes Gespür für dynamische Balance und Steigerungen.

Er singt den wandernden Protagonisten mit zurückhaltender No­blesse, zeigt ihn verletzlich, kommt aber aus sich heraus, wenn es nötig ist. Wenn der Wanderer in „Die Krähe“ das unsympathische Tierchen zu „Treue bis zum Grabe“ auffordert und Nazmi hier einmal seine volle Stimmkraft hören ließ, dann erschütterte das bis ins Mark. Genauso rührten aber die leise Wehmut im „Frühlingstraum“ oder die tiefe Resignation im „Wirtshaus“ oder dem „Leiermann“ an. Ein großartiger Abschluss dieses spannenden neuen Festivals.