Hamburg. Stefan Pucher inszeniert Christian Krachts Roman am Thalia in der Gaußstraße als böses Duell zwischen Mutter und Sohn.

Christian ist ein Hipsterspießer. Ein Typ, der weiß, wie er wirken will: langer Mantel, Lederschuhe, Bundfaltenhose, und als halbironische Abrundung eine dicke Brille. Aber so, wie Jirka Zett den Schriftsteller mit Mutterkomplex spielt, ist Christian eben auch ein verstörter Klemmi, mit belegter Stimme, flackerndem Blick, weit aufgerissenen Augen,. Er ist jemand, der immer auf eine Bedrohung gefasst ist. Und der intelligent genug ist, dieses Verhalten auch zu reflektieren.

Christian Krachts Roman „Eurotrash“ ist die Beschreibung dieser sich immer wieder von außen betrachtenden Figur. Es geht um einen Schriftsteller namens „Christian Kracht“, geboren im Schweizer Nobelort Gstaad als Sohn eines schwerreichen Verlagsmanagers (der echte Kracht ist Sohn eines Axel-Springer-Managers), der vor 25 Jahren einen Roman namens „Faserland“ geschrieben hatte (der echte Kracht veröffentlichte 1995 seinen Debütroman „Faserland“).

„Eurotrash“-Uraufführung in Berlin: Thalia in der Gaußstraße legt nach

Die Romanfigur Christian also holt seine tabletten- und alkoholabhängige Mutter aus einem Sanatorium in Winterthur ab, um mit ihr auf eine letzte Reise zu gehen. Die Mutter möchte nach Afrika, tatsächlich aber durchqueren sie gerade mal per Taxi die Schweiz: zu einer Esoterik-Nazi-Kommune im Berner Oberland, auf den Berggipfel Sex Rouge, an den Genfer See, schließlich zurück ins Sanatorium. Eine Reise durch eine vielfach verstörte Familienbiografie, aber auch eine Reise durch die Verheerungen des 20. Jahrhunderts: die Nazifamilie der Mutter, die Verstrickung des Vaters in die konservative Publizistik der jungen Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Finanzindustrie.

Der Roman also ist ein Albtraum zwischen Faschismus und Großbürgertum, und wie das so mit Träumen ist, passiert außer einer dumpf-unangenehmen Grundstimmung nichts Nennenswertes. Dramatische Handlung jedenfalls ist Mangelware – und dennoch scheinen Theater den Stoff spannend zu finden.

Vor einer Woche inszenierte Jan Bosse die Uraufführung von „Eurotrash“ an der Berliner Schaubühne, am Thalia in der Gaußstraße legt jetzt Stefan Pucher nach. Und beide Inszenierungen fassen den Prosastoff vor allem über ihre Schauspieler, die eine Handlung performen, wo kaum Handlung stattfindet: in der Erzählung.

„Eurotrash“ ist in Hamburg ein böses, berührendes Duell

In Berlin spielt Joachim Meyerhoff Christian hyperaktiv, schon in der ersten Szene als Double des echten Christian Kracht – das ist bei diesem hochtalentierten Komödianten unterhaltsam anzusehen, drängt aber Angela Winkler in der Rolle der Mutter etwas in den Hintergrund. Ganz anders am Thalia: Zett legt Christian als coole aber leere Fläche an. Die Verwerfungen, die diese Figur mit sich trägt, sind nur angedeutet, mit zitternden Lippen, mit leichten Zwangshandlungen. Entsprechend ist hier die Mutter weit präsenter, von Barbara Nüsse als zwar gebrechliches aber selbstbewusstes Energiebündel gegeben.

Der Slapstick, der in Berlin über manch erzählerischen Leerlauf hinwegträgt, ist in Hamburg vollkommen eliminiert, hier ist „Eurotrash“ ein böses, berührendes Duell zweier gleichwertiger (und auch gleich starker) Figuren. Ein Beispiel: Immer wieder wird die Story ausgebremst, weil Christian seiner Mutter den künstlichen Darmausgang wechseln muss. Meyerhoff spielt das als virtuosen Tanz mit dem Kotbeutelchen, das irgendwann an seinem Pullover kleben bleibt.

Ganz anders Zett: Hier sind diese Szenen nacktes Entsetzen angesichts der Körperausscheidungen, im übertragenen Sinne angesichts der Scheiße des 20. Jahrhunderts. Die Berliner Lösung mag die unterhaltsamere sein, die Hamburger ist jedenfalls die klügere.

„Eurotrash“: An der Gaußstraße passiert weit weniger Theater

Dafür ist das Bühnenbild an der Elbe eindeutiger als an der Spree. Barbara Ehnes hat (mit nachhaltigen Materialen wie Europaletten oder Parkettteilen) ein in die Höhe strebendes Objekt in die Gaußstraße gebaut: Das symbolisiert die Berge, auf denen Mutter und Sohn irgendwann erfolglos Edelweiß suchen. Kein Vergleich zu Stéphane Laimés Segelyacht an der Schaubühne, in der so viel mehr Inhalt steckt – obszöner Wohlstand, die Sinnlosigkeit einer Yacht im Binnenstaat Schweiz, am Ende der Schiffbruch in der Mutter-Sohn-Beziehung.

In Hamburg, wo alle weiteren Vorstellungen ausverkauft sind, werden ganze Passagen des Romans ausgespielt, die in Berlin fehlen: die Flughafenszene, als ein verbrecherischer Pilot versucht, das Paar auszurauben, die Vergangenheitsbewältigung im Chalet des verstorbenen Vaters, der Besuch am Grab von Jorge Luis Borges auf dem Genfer Cimetière des Rois.

Dennoch ist die Hamburger Aufführung mit rund zwei Stunden knapp 30 Minuten kürzer als die Berliner – das beweist, wie konzentriert Pucher und Dramaturgin Susanne Meister hier den Romanstoff angegangen sind. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass an der Gaußstraße weit weniger Theater passiert – die höchst unterhaltsamen Clownerien von Meyerhoff liefert Zetts Hipsterspießer jedenfalls nicht.