Hamburg. Mit der Schlager-Legende und „Freund Udo“ feierte das Hansa-Theater unter 2G nach 20 Monaten die Premiere der neuen Spielzeit.

Ein letztes Mal setzten die (fabelhaften) Hansa Boys die Instrumente an und entließen mit ihrer Version des mehr als vier Jahrzehnte alten Disco-Hits „September“ das Publikum in die nasskalte November-Nacht. Selbst eine Premiere unter 2G-Bedingungen muss zu Pandemie-Zeiten eben ihr Ende finden. Wobei „2G“ statt „Geimpfte“ und „Genesene“ beim Auftakt der neuen Varieté-Saison im Hansa-Theater zusätzlich auch „Geladene“ und „Genießende“ hätte heißen können.

Dass diese Gala-Premiere nach fast 20 Monaten Zwangspause im traditionsreichen Haus am Steindamm mit mehr als drei Stunden (inklusive Pause) Überlänge hatte, lag insbesondere an dem von den Theaterdirektoren Thomas Collien und Ulrich Waller eigens engagierten Stargast: Roberto Blanco machte den zweiten Teil der Show zum bisher längsten Kurz-Konzert, das das Hansa seit der Wiedereröffnung im Jahr 2009 wohl erlebt hat.

Hansa-Theater: Roberto Blanco freut sich über Udo Lindenberg

Von „Mit Musik und Humor kommt das Leben dir schöner vor“ bis zur deutschen Fassung von „Amarillo“ reichte das halbe Dutzend Lieder. Der Entertainer und Stimmungssänger überzeugte mit vollem Bass-Bariton, tänzelte über die Bühne, lächelte breit und rollte mit den Augen wie eh und je. Der formstarke 84-Jährige freute sich spürbar, wieder hautnah Kontakt mit dem Publikum zu haben („Die Hamburger haben mehr Temperament als die Kubaner“), begrüßte „meinen Freund Udo“ (Lindenberg/saß mit Entourage in seiner Hansa-Stammloge) und andere alte Bekannte.

Kurios mutete es an, wie CSU-Ehrenmitglied Blanco, dessen Satz „Nicht wahr, Herr Dr. Strauß, wir Schwarzen müssen zusammenhalten“ auf dem Unions-Parteitag 1980 legendär ist, den im ersten Show-Teil spottenden und singenden Freiburger Kabarettisten Matthias Deutschmann („Ich wähle die Grünen seit Jahren – obwohl ich sie kenne“) und den Hamburger SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf im Saal zum Mitklatschen animierte. So viel Spaß für alle musste sein; auch Schauspieler und Gala-Conférencier Peter Jordan huldigte Roberto Blanco, „einer Legende“.

Sänger Roberto Blanco und Udo Lindenberg stehen auf dem roten Teppich vor der Premiere des Varietés im Hansa-Theater.
Sänger Roberto Blanco und Udo Lindenberg stehen auf dem roten Teppich vor der Premiere des Varietés im Hansa-Theater. © Marcus Brandt/dpa

Atemberaubende Varieté-Kunst mit Handstand-Akrobatinnen

Für die Artisten, jeweils vier pro Hälfte, blieb dennoch Zeit und Raum. Das Hansa-Programm 2021/22 mit dem neuen Gastro-Partner Strauchs Falco bietet Abwechslung und feine, teils atemberaubende Varieté-Kunst. Nach Blancos „Puppenspieler von Mexiko“ kam mit dem US-Amerikaner Phillip Huber ein wahrer Meister der klassischen Marionetten mit Charakter-Puppen zum Zug. Der Berliner Frank Wolf zeigte zu harten Hip-Hop-Rhythmen Fahrrad-Akrobatik in modernem Stil.

Eine wunderbare Symbiose aus Kraft, Anmut und Eleganz lieferte das Trio Essence. Die drei ukrainischen Handstand-Akrobatinnen, eine kleinere und zwei groß gewachsene Tänzerinnen, zeigten bei ihren Figuren derart viel Körperspannung, dass der Begriff „Sich-nach-der Decke-strecken“ neu definiert werden sollte. Zwar ist der Saal im Hansa-Theater nur 4,50 Meter hoch, begleitet von einem lasziven Blues der fünfköpfigen Hansa Boys um den musikalischen Leiter Andreas Böther ist so jedoch eine Spitzennummer entstanden. Das galt ebenso für die rasante Darbietung des taiwanesischen Artisten Cho Chuan-Ho mit bis zu drei Diabolos gleichzeitig, ohne dass die Kegel auf dem Seil die Decke touchierten.

Hansa-Theater: Poetisch und faszinierend die Seifenblasen-Show

Wie schnell die allesamt geimpften und getesteten Artisten aus aller Welt auf Betriebstemperatur kommen, hatte im ersten Teil bereits Vladimir Omelchenko gezeigt: Der Ukrainer, einst beim Cirque du Soleil, erreichte mit seiner halsbrecherischen Rola-Rola-Akrobatik auf wackeligen Kegeln, Brettern und Regalen ungeahnte Höhen – sehr zur Begeisterung des Publikums.

Poetisch und faszinierend die Seifenblasen-Show des in Hansa bekannten Kaliforniers Tom Noddy. Die Berliner Akrobaten Battle Beasts haben in Hamburg – im Schmidt Theater – ebenfalls schon ihre Visitenkarten hinterlassen, beeindruckten einmal mehr mit ihrem Mix aus Kraftteilen und Breakdance.

Bauchredner sorgt für komödiantischen Höhepunkt

Und was den Hansa-Charme inmitten von Plüsch, Messing und Tischchen bis heute auf der Bühne ausmacht, zeigte mit Kay Scheffel ein Künstler der alten Schule: Der Entertainer und Bauchredner ließ nicht nur seine frechen Puppen, den Raben „Rocky“ und das Showgirl „Juanita“, sprechen. Scheffel sorgte mit den spontan ausgewählten Zuschauern Roland und Kim auch für den komödiantischen Höhepunkt des Abends, indem er beide unter Wahrung des Sicherheitsabstandes abwechselnd synchronisierte und dazu mit ihnen noch ein Rock-’n’-Roll-Duett sang – alles aus dem Bauch heraus.

Insofern sollte Hansa-Direktor Thomas Collien recht behalten: Als er wie Waller zu Beginn der Gala in einem gelben Hühnerkostüm auftrat, um neben einem roten und einem grünen Ampelmännchen die neuen deutschen politischen Mehrheitsverhältnisse zu symbolisieren, sagte Collien: „Seien Sie unbesorgt, sie wird heute Abend die einzige tierische, unterirdische Nummer bleiben.“

Varieté im Hansa-Theater bis 20.2. und 30.3.–24.4. 2022, Di bis Fr jew. 19.30, Sa 15.30, 19.30, So 14.30, 18.30, Hansa-Theater (U/S Hbf.), Steindamm 17, Karten zu 41,90 bis 68,90, Weihnachtsprogramm mit Conférencier Alfons am 26.12., 14.30 u. 18.30, zu 85.-/75,- in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, unter der Ticket-Hotline T. 30 30 98 98 und www.hansa-theater.com