Hamburg. Ob noch 3G oder schon 2G: Die Kartennachfrage für Hamburgs Bühnen ist überaus schwankend. Erklärungen dafür gibt es einige.

„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“, lautet der Titel eines autobiografisch geprägten Erfolgsromans des schreibenden Schauspielers Joachim Meyerhoff, bis heute ein gern gesehener Gast am Deutschen Schauspielhaus. Als Adaption kam sein Stoff vor einigen Jahren auf die Bühne des Altonaer Theaters. Doch egal, ob großes Staatstheater, mittelgroßes Privattheater oder kleine Off-Bühne – in manchen der gut 40 Hamburger Häuser hat sich seit dem Saisonstart die eine oder andere Lücke im Saal aufgetan.

Das muss, das soll auch so sein – die Hygiene- und Schutzmaßnahmen der Corona-Eindämmungsverordnung sehen fast immer Abstände vor. Das sogenannte Schachbrettmuster erlaubt meist eine Auslastung von maximal 50 Prozent. Doch ob – immer seltener – noch die 3G-Regel gilt (Einlass für Geimpfte, Genesene und auf Covid-19 Getestete) oder nur für Geimpfte und Genesene 2G - in einigen Häusern und an einigen Stellen sind mehr Plätze frei als gedacht.

Corona Hamburg: Thalia Theater ist zufrieden

Woran aber liegt das? Für die beiden Liederabende der Opern-Stars Lise Davidsen und Roberto Alagna in der Staatsoper etwa gab es im Vorfeld noch reichlich Karten, obwohl sich die Preisspanne in der für das Haus an der Dammtorstraße üblichen sechs bis 109 Euro bewegt.

Tom Till, Kaufmännischer Geschäftsführer des Thalia Theaters, verweist auf den wichtigen Stufenplan, der seit August für sein Haus bei „der Rückkehr zur neuen alten Normalität“ gelte. Damit das Publikum Zeit habe, sich an die dichtere Platzsituation zu gewöhnen. „Im September waren 95 Prozent aller Karten weg. Seit September haben wir die Kapazität stetig erhöht und liegen aktuell bei immer noch 82 Prozent Auslastung“, stellt Till zufrieden fest. Das alles unter 3G.

Einige Besucher tragen freiwillig Masken

Eigentlich habe das Haus „einen ziemlich guten Lauf“, so der Thalia-Manager. „Die ersten 2G-Vorstellungen in den letzten Tagen wurden sehr gut angenommen und waren sehr lebendig. Durch das wieder gestiegene Infektionsgeschehen tragen bei 2G im Großen Haus manche Besucher freiwillig eine Maske, im kleineren Gauß-Studio sind es mehr“, berichtet Till. Bislang laufe der Vorverkauf bis in den Februar hinein stabil.

Jedoch: „Wie sich die Nachrichtenlage auf den Kartenverkauf auswirkt, können wir momentan noch nicht sagen.“ In der ersten Corona-Spielzeit 2019/20 hatte das Thalia etwa 500 Abonnenten zum Saisonende verloren – eine normale Zahl. Nur habe man in der Lockdown-Spielzeit 2020/21 leider keine 500 neuen dazugewonnen, so Till, „denn ein geschlossenes Theater ohne Öffnungsperspektive verkauft keine neuen Abos.“ Mit Beginn der neuen Spielzeit gehe es bisher wieder leicht aufwärts.

Publikum in Hamburg ist noch unsicher

Dennoch, die Zurückhaltung des Publikums ist in einigen Theatern sicht- und spürbar. Ohnsorg-Intendant Michael Lang musste in der Pandemie einen Rückgang der Abonnentenzahl um 20 Prozent auf zuletzt knapp 3000 verkraften, „ohne dass wir dem Publikum inhaltlich-thematisch auf der Bühne etwas anbieten konnten“, so Lang. Im Austausch mit Theatermachern anderer Städte hat er mehrere Gründe für die abwartende Haltung der Besucher ausgemacht: „Die Unsicherheit angesichts der fragilen Infektionslage nimmt zu.“ Die Maskenpflicht am Platz hält er sogar für „Gift“, es leide „das Wohlgefühl des Publikums“.

Zudem habe die „Klebkraft“ der Couch dank guter Serien bei Netflix oder Amazon Prime zu- und die Wichtigkeit des Theaters für manche abgenommen, auch in Konkurrenz zu anderen Freizeiteinrichtungen, meint Lang. Dazu komme der regionale Flickenteppich in den Bundesländern, sodass für Gäste aus Schleswig-Holstein oder Niedersachsen etwas völlig anderes gelte. „Seit März 2020 hat Hamburg die Corona-Eindämmungsverordnung etwa 50-mal geändert, im Durchschnitt also alle zwei Wochen“, rechnet Lang vor.

Ernst Deutsch Theater stellte auf 2G um

Freikarten an Studierende (erstes und zweites Semester) zu verschenken wie es das Thalia schon gemacht hat, um so den Saal zu füllen, können sich privat geführte Theater kaum leisten. „Ich habe den Eindruck, dass wir die Nachfrage mit einem halb vollen Haus gut decken können“, sagt Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters. Beim zweiten Stück dieser Saison, „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“, betrug die Auslastung zuletzt 90 Prozent.

Für die Komödie „Charleys Tante“ stellt das mit 744 Plätzen größte Hamburger Privattheater von 3G auf 2G um, möchte bisher jedoch im Saal beim Schachbrettmuster sowie bei Poetry-Slams und Lesungen auch beim 3G-Modell bleiben. „Wir wollen Enge im Foyer vermeiden, die Menschen sollen sich bei uns sicher fühlen“, so die Theaterchefin. Nach dem Kündigungszeitpunkt 31. März war die Zahl der Abonnenten überdurchschnittlich stark um zehn Prozent gesunken, Vértes-Schütter ist aber zuversichtlich, die Zahl bei mehr als 4000 stabilisieren zu können.

Auch Schmidt Theater setzt auf 2G

Erstaunlich hingegen die Entwicklung im Schmidt Theater und Schmidts Tivoli. „Wir sind nah dran an den Besucherzahlen von 2019“, sagt Theaterchef Corny Littmann. Und dass, obwohl nicht wie in Vor-Corona-Zeiten sechs Monate, sondern nur vier Wochen Vorlauf beim Kartenvorverkauf gelten. Bereits seit dem 5. Oktober gilt in beiden Theatern 2G. Sowohl Abstandsregeln als auch Maskenpflicht sind seitdem im Saal passé, ob bei Hausproduktionen oder wie kürzlich bei einem ausverkauften Gast-Konzert von Gustav Peter Wöhler.

„Es ist auch für die Künstler viel schöner, in einem vollen Saal in lachende Gesichter zu blicken“, berichtete Littmann von begeisterten Reaktionen des Comedy-Stars Michael Mittermeier im Tivoli. Nur beim Familien-Musical „Der achtsame Tiger“ gilt eine eingeschränkte Auslastung von maximal 70 Prozent, ebenfalls unter 2G-Bedingungen, junge Gäste unter zwölf Jahren sind davon ausgenommen.

Wirtschaftlichkeitshilfe sollte Kulturszene unterstützen

Littmann („2G sollte zur Pflicht werden“) sieht das streng kontrollierte Modell mit Einlass nur für Geimpfte und Genesene als „erheblichen Schritt in Richtung Normalität“ und als „Voraussetzung dafür, Kulturbetriebe wie unseren nach anderthalb harten Jahren Pandemie erstmals wieder wirtschaftlicher betreiben zu können“. Auf die Beantragung der sogenannten Wirtschaftlichkeitshilfe aus dem Sonderfonds des Bundes hat der Gesellschafter der Schmidts Tivoli GmbH fortan verzichtet.

Der Sonderfonds für Kulturveranstaltungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro war im Sommer auf Initiative der Hamburger Senatoren Carsten Brosda (Kultur) und Andreas Dressel (Finanzen, beide SPD) und des Unternehmens SAP aufgelegt worden. Die Wirtschaftlichkeitshilfe stellt mit einem Zuschuss zu Ticketverkäufen sicher, dass Veranstaltungen (auch im Theater) dann durchgeführt werden können, wenn aus Gründen des Infektionsschutzes weniger Besucher zugelassen sind und somit weniger Karten verkauft werden – de facto ein Zuschuss für Ticketverkäufe.

Wirtschaftlichkeitshilfe könnte verlängert werden

Und das laut Auskunft der Kulturbehörde seit Kurzem auch dann, wenn der Veranstalter die coronabedingte Auslastung um mindestens 20 Prozent senkt und dies in seinem Hygienekonzept verbindlich festlegt.

Falls die Infektionslage derart dynamisch bleibt wie derzeit, sei auch eine Verlängerung der Wirtschaftlichkeitshilfe über den bisherigen Termin 31. März hinaus bis Ende Juni 2022 denkbar. „Der Sonderfonds wird stetig an die sich ändernde Corona-Lage angepasst und weiterentwickelt“, sagte Brosda auf Abendblatt-Anfrage.

Viele Theater stellen auf 2G um

„Seit Oktober können auch Veranstalterinnen und Veranstalter die Wirtschaftlichkeitshilfe erhalten, die sich für das 2G-Zugangsmodell entscheiden und freiwillig die Platzkapazität reduzieren. Die Ausfallabsicherung wurde von 80 auf 90 Prozent angehoben“, so der (Noch-)Kultursenator.

Von diesem Sonntag an etwa stellt das Altonaer Theater wie die ebenfalls zu Staitsch Theaterbetriebs GmbH gehörenden Harburger Theater und Hamburger Kammerspiele komplett auf 2G-Betrieb um. Alles bei weiterhin reduzierter Platzauslastung, um laut Intendant Axel Schneider „die Wohlfühlqualität zu erhöhen“. Auch im Hansa-Theater werden vom 25. November an alle Vorstellungen außer mittwochs unter 2G-Bedingungen mit reduzierter Kapazität stattfinden.

Corona Hamburg: 2G-plus-Regel im Gespräch

Doppelt auf Nummer sicher geht bereits das Polittbüro: Die linksalternative Bühne am Steindamm praktiziert seit Wiedereröffnung im September das 2G-Modell, jedoch mit „Schachbrettmuster“ im Saal sowie mit Maskenpflicht im ganzen Haus. Ausnahme: Man oder frau trinkt mal etwas am Platz. Hier wirkte es bislang wie ein Modell, mit dem sich der Spielbetrieb in diesem schwierigen Winter halbwegs aufrechterhalten lässt.

Jetzt könnte es von der am Freitag von Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geforderten 2G-plus-Regel übertroffen werden: Nach der wäre für Geimpfte und Genesene zusätzlich ein negativer Corona-Schnelltest nötig. Falls sich dann im Theatersaal immer noch Lücken böten, wäre das nicht entsetzlich, sondern ein weiteres Maß an Sicherheit in den mit zahlreichen neuen Lüftungen ausgestatteten Hamburger Theaterhäusern.