Hamburg. Schauspieler Sebastian Zimmler führt am Thalia in der Gaußstraße erstmals Regie – und lässt virtuoses Spielen etwas kurz kommen.
Manchmal bekommt man vor dem Theaterbesuch einen Kopfhörer ausgehändigt. Mal aus praktischen Gründen, weil das Stück in einer Fremdsprache gespielt wird und man eine Simultanübersetzung benötigt, seltener, weil der Kopfhörer Teil des künstlerischen Konzepts ist.
Das ist dann oft eine langwierige Prozedur, man muss das Gerät aufsetzen, „Hören Sie jetzt etwas?“, „Nein“, „Und jetzt?“, der Einlass verzögert sich. Bei der Premiere von „Neon in alter Vertrautheit“ im Thalia in der Gaußstraße aber ist die Kopfhörerausgabe schon Teil des Stücks: Während man den Klang testet, spricht einen eine sanfte Stimme direkt an. „Falk, ich habe eine Frage für dich“, hört man. „Hast du dich bereits entschieden, wie du einmal sterben möchtest?“
Thalia in der Gaußstraße: Der Abend geht schnell ans Eingemachte
Geht schnell ans Eingemachte, der Abend. Der US-Schriftsteller David Foster Wallace veröffentlichte die Erzählung „Neon in alter Vertrautheit“ 2004 in seinem Band „Oblivion“ – ein Mann berichtet da, weswegen der Suizid für ihn ein Ausweg ist. Aus seiner Weltverachtung. Aber auch aus seinem Selbsthass, als Mensch, der auf alles eine ästhetische Folie legt und der sogar den finalen Schuss unter künstlerischen Gesichtspunkten betrachtet.
Und weil Wallace (der sich vier Jahre nach Erscheinen von „Oblivion“ während einer depressiven Phase tötete) ein zutiefst postmodern arbeitender Autor war, ist der Text vor allem ein Nachdenken übers Erzählen selbst. Was soll das denn sein, eine Erzählung, die den eigenen Tod zum Thema hat? Und was sagt das über den Erzähler aus?
„Ich bin ein Heuchler“ ist ein Satz, der immer wieder auftaucht: jemand, der dem Gegenüber etwas vormacht. Ein Schauspieler also. Sebastian Zimmler hat sich im Thalia-Ensemble einen Ruf erspielt als Schauspieler, der extrem körperlich agiert und so einen unmittelbaren Kontakt zum Publikum herstellt.
In seiner ersten eigenen Regiearbeit „Neon in alter Vertrautheit“ (entwickelt mit Unterstützung von Moritz Reichardt, der hier nicht wie sonst als Regieassistent genannt ist sondern gleichberechtigt mit Zimmler) unterläuft er diesen Ruf konsequent. Und zwar, indem er körperlich zunächst gar nicht da ist.
Irgendwann steht Sebastian Zimmler dann doch auf der Bühne
Während des Einlasses plaudert die Stimme aus den Kopfhörern immer weiter, es geht um die Vor- und Nachteile des Körpers, um die Überwindung physischer Grenzen, schließlich erzählt sie die Geschichte eines kleinen Vögelchens, das immer engere Kreise zieht, bis es schließlich in seinem Po verschwindet. How to disappear completely: Verschwinden als Ideal.
Irgendwann steht Zimmler dann doch auf der Bühne, im Halbschatten, fast verschwunden hinter Nadin Schumachers Bühneninstallation, auf die Jonathan Berkau Videos projiziert: Großaufnahmen von Körperteilen, ein Auge, das einen einzusaugen scheint. Mittlerweile ist klar, dass Zimmler hier ein ästhetisches Statement setzen möchte, nicht als Vehikel eines gefeierten Schauspielers, der zeigen möchte, was er kann, sondern mit einer Inszenierung, die näher an der Bildenden Kunst steht als am Theater.
Dabei unterstützt Wallace’ vielstimmige Vorlage den 65 Minuten kurzen Abend. Ständig wechselt die Haltung des (weder zuverlässigen noch besonders sympathischen) Erzählers, der einen in die Tiefen der Depression stürzt, nur, um einem kurz darauf eine ätzende Selbstanklage um die Ohren zu hauen. Auf der Bühne bedeutet das, dass Zimmler aus den technischen Möglichkeiten herausholt, was sich herausholen lässt: als Projektion zu einem dunklen Elektropopsong, als Runde auf einer lärmenden Bodenschleifmaschine.
„Sitzen hier überhaupt Kritiker im Saal, oder sind die alle im Schauspielhaus"
Das ist viel, manchmal auch zuviel, was hier an Ideen aufgefahren wird. Weil Zimmler eigentlich wissen müsste, was bei einem Schauspieler seiner Güteklasse am besten funktioniert: das klare Spiel, das er immer wieder von körperlicher Unmittelbarkeit in ironische Distanz kippen lassen kann. „Sitzen hier überhaupt Kritiker im Saal, oder sind die alle drüben im Schauspielhaus bei Castorf?“, spricht er einmal die parallel stattfindende Großpremiere im Nachbartheater an.
„Ob dieser Gedanke seinen Weg in die Zeitung findet?“ Das ist böse, weil die verhandelten Themen ja immer noch solche sind, die als Ziel die Selbstauslöschung haben, und wenn man diese Selbstauslöschung vor allem nach ihrem Newswert beurteilt, dann schimmert ein selbstverliebter Unterton durch. Den Zimmler gleich darauf selbst anspricht. „Ach, das ist kokett!“
Ein böser Spaß und ein berührendes Dokument der Hoffnungslosigkeit
Schon ein extrem hohes Diskursniveau, auf dem hier gespielt wird. „Neon in alter Vertrautheit“ ist also gleichzeitig ein böser Spaß und ein berührendes Dokument der Hoffnungslosigkeit. Ein Spiel mit den technischen Möglichkeiten des Theaters und die schmerzhafte Erinnerung daran, dass das virtuose Spielen des Bühnenkünstlers hier ein wenig zu kurz kommt.
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Nicht zuletzt ist der Abend eine Fingerübung, der Hinweis eines hochtalentierten Schauspielers darauf, dass er noch ganz anders könnte – ein Versprechen auf konzentriertere Arbeiten, die da noch folgen können. Wobei, angesichts des postmodernen Charakters der Vorlage ist eine gewisse Unkonzentriertheit ja durchaus angebracht.
Neon in alter Vertrautheit wieder am 24.11., 20 Uhr, Thalia Gaußstraße, Gaußstraße 190, Tickets unter 32814444.