Hamburg. Der Erfolgsautor wurde bei der Vorstellung seines neuen Romans „Der Jaeger und sein Meister“ unterbrochen. So reagierte Schamoni.

Genie und Wahnsinn, sie liegen ja oft nah beieinander. Sei es bei Größen im Sport, sei es bei solchen in der Kunst. Aber treibt man mit ihnen Späße oder macht Witze über sie? „Bitte begrüßen Sie Ricki Schamano!“, tönt es es aus dem Off, als Rocko Schamoni die Bühne des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg betritt.

Mit ihm kann man es machen – es freut den Künstler, 1966 als Tobias Albrecht geboren, sogar sicht- und hörbar. Ebenso die Tatsache, dass er endlich wieder vor großem Publikum auftreten kann. Wurde ja auch Zeit. Dass er als Nachwuchsrocker aus Lütjenburg im Kreis Plön vor 30 Jahren mal als „Bravo Boy“ in der gleichnamigen Jugend-Postille auftauchte, gegenüber dem bayerischen Schlager-Maderl Nicki („Wenn I mit Dir tanz“) aber damals total verblasste, dokumentiert Schamoni via Laptop und Projektionswand selbstironisch in Bild und Wort.

Schauspielhaus Hamburg: Rocko Schamoni präsentiert neues Buch

Doch an diesem Abend sitzt der Erfolgsautor („Dorfpunks“) primär als Schriftsteller am Pult, um die Hamburger Buchpremiere seines im Spätsommer erschienenen Romans „Der Jaeger und sein Meister“ zu zelebrieren. In dessen Mittelpunkt steht mit Heino Jaeger (1938–1997) eine fast vergessene Figur der hiesigen Humorgeschichte – obschon erklärtes Vorbild und Inspirationsquelle für den mehrfach mit dem Grimme-Preis dekorierten Hamburger Menschendarsteller Olli Dittrich („Dittsche“).

Mit 15 Jahren Anlaufzeit und viel Recherche hat Schamoni den Satiriker, Maler und Grafiker Jaeger aus Harburg integriert – in eine Kiez-Szenerie auf St. Pauli der späten 60er- und folgenden 70er-Jahre. Von der hatte er bereits in „Große Freiheit“ (2019) erzählt, ein Roman-Prolog und für Schamonis Auftakt einer Hamburg-Trilogie.

Zuschauerin stört Lesung von Rocko Schamoni

Um auch Jüngeren, die Heino Jaeger nie erlebt haben, den Anarcho-Alleinunterhalter näherzubringen, lässt Schamoni im Großen Haus dessen fast 50 Jahre alten Radio-Sketch „Passkontrolle“ abspielen, mit einem pensionierten Grenzer aktiv im Flur einer Familienwohnung. Weitere O-Töne sollen folgen, sie zeugen vom skurrilen, oft pointenlosen Humor eines Mannes, der Stimmen, Alltagsbeobachtungen und -szenen äußerst detailreich wiedergeben konnte.

Als Schamoni im Buch-Kapitel „Basel“ schildert, wie der junge Jaeger diese Gabe in einer Besenkammer eines alten Hauses der Schweizer Metropole stundenlang praktiziert und so immer neue Zuhörer anlockt, ist auch im linken Parkett des Schauspielhauses permanent Gebrabbel zu hören. Erst stört es nur Einzelne, dann immer mehr Leute im Saal. „Martina, bist du das?“, fragt Schamoni von der Bühne. Er kennt die verwirrt wirkende Frau („Das macht sie zum 38. Mal“) offenbar; ist sie etwa eine Nachfahrin, womöglich Nichte des schrägen Humoristen?

„Schmeiß Sie raus!“, fordert ein Zuschauer, Schamoni, als Teil des Humor-Trios Studio Braun regelmäßiger Gast im Schauspielhaus, rettet sich trotz der hartnäckiger Zwischenruferin halbwegs humorig in die vorgezogene Pause: „Sie ist doch die Souffleuse ...“

Rocko Schamoni macht überraschende Ankündigung

Ohne diese „Martina“ gerät der zweite Teil von „Der Jaeger und sein Meister“ umso mehr zu einer interessanten Irrfahrt eines Freaks, der dank Vermittlung seiner Freunde und von Kabarett-Legende Hanns Dieter Hüsch im WDR-Hörfunk Sendeplätze bekam und ob seiner frechen Zeichnungen und Bilder von manchen sogar mit Horst Janssen gleichgesetzt wurde. Schamoni zeigt das mit einigen projizierten Werken Jaegers ebenso wie mit einem weiteren Lese-Kapitel, in dem er realen Kiez-Größen wie dem Boxer Norbert Grupe („Der Prinz von Homburg“), dem Nachtclub-Betreiber Dieter Bockhorn („Prinz von St. Pauli“) und dessen Freundin, der Prom-Kommunardin Uschi Obermaier, Stimmen verleiht.

So, als wären in deren Eimsbütteler Galerie Café-Adler am Weídenstieg die Zuhörer live dabei, wenn Jaegers Werke im zu Beginn der 70er bekannten Szene- und Drogentreff per Handschlag verkauft werden und der in derlei Hinsicht unbedarfte Künstler über den Tisch gezogen wird. Hier ist Schamoni nicht nur Chronist und Erzähler, sondern auch ein guter Performer.

Das Ende vom Lied, vom (zu) kurzen Leben Heino Jaegers mit LSD-Trips und Alkoholsucht, Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie Ochsenzoll und in einem Pflegeheim in Bad Oldesloe spart Schamoni weder im Buch noch bei der Lesung im Schauspielhaus aus. Und überrascht mit der Ankündigung, dass es im Museum Stade im Februar eine Ausstellung mit fast allen der 1400 (!) Werke Jaegers geben soll – bereitgestellt von zahlreichen Sammlern. Nahezu genial.

„Der Jaeger und sein Meister“, Roman, 256 Seiten, 22 Euro, Verlag hanserblau.