Hamburg. Jordi Savall und das Orchester Le Concert des Nations mit der 8. und 9. Sinfonie in der Laeiszhalle: ein Abend mit zwei Gesichtern.

Vielleicht steckte ihnen das Konzert vom Vormittag noch in den Knochen. Oder sie mussten Kondition sparen, für die Neunte, nach der Pause. Oder beides. Jedenfalls absolvierten Jordi Savall und Le Concert des Nations den ersten Teil ihres Sonntagabendprogramms am in der Laeiszhalle weitgehend im Schongang. Savall beschränkte sich darauf, den Takt zu schlagen, seine Truppe ließ Beethovens achte Sinfonie solide durchlaufen.

Natürlich liefert das Orchester auf historischen Instrumenten auch auf Sparflamme seinen typischen, etwas rauen Klang, der so gut zu Beethoven passt. Gerade die sehr präsente Kontrabassgruppe hatte Lust am Geräusch, am Knirschen im Gebälk, wie es dem Komponisten sicher gefallen hätte. Aber vom spezifischen Charakter der Musik war nur wenig zu hören. Der neckische Humor im Allegretto scherzando, die Aufbruchsstimmung im abschließenden Allegro: Fehlanzeige. Das war alles nicht schlecht – aber das kann für Interpreten von diesem Spitzenformat ja nicht der Anspruch sein.

Beethovens Sinfonie rüttelte Publikum durch

Zum zweiten Teil kamen sie dann auch mit einer anderen Körpersprache und einem höheren Energielevel auf die Bühne. Jordi Savall löste sich wenigstens teilweise vom Blick in die Partitur, nahm mehr Kontakt auf und offenbarte die markerschütternde Kraft von Beethovens Neunter.

Die Pauke kracht und donnert, als würde ein Gewitter hereinbrechen. Die Streicher reißen steile Crescendi an. Das Kontrafagott knarzt in tiefsten Tiefen, wie der Auspuff des Orchesters. Herrlich. Und im nächsten Moment singen die Geigen eine zarte Melodie. Mit solchen emotionalen Kontrasten kann die Sinfonie ihr Publikum noch heute, knapp 200 Jahre nach der Entstehung, durchrütteln und berühren.

Straffere Choreografie wäre möglich gewesen

Allerdings wäre auch da noch mehr möglich gewesen. Mehr Freiheit in der Gestaltung der Tempi, mehr Präzision im Zusammenspiel. Und eine straffere Choreografie der Spannungsbögen. Manche von Beethovens musikalischen Explosionen verpufften wirkungsarm, weil Savall sich keine Zeit nahm, sie anzusteuern oder auszukosten.

Aber vielleicht gehörte auch das zum Plan? Denn im berühmten Finale der Neunten modellierte der 80-jährige Dirigent dann schließlich doch eine sehr effektvolle und breit angelegte Steigerung. Angefangen beim dunklen Unisono von Bässen und Celli, die das „Freude, schöner Götterfunken“-Thema in tiefer Lage raunen, bevor es auf das ganze Orchester übergreift.

Savall fördert Zusammenspiel von Chor und Solisten

Mit dem Einsatz von Vokalstimmen sprengt Beethoven hier den Rahmen der Sinfonie. Das führt die beteiligten Sängerinnen und Sänger an ihre Grenzen und kann, wenns blöd läuft, in ein fürchterliches Geschrei ausarten. Aber nicht bei Savall. Weil er das Orchester wie zu Beethovens Zeit besetzt, haben Chor und Solisten tatsächlich über weite Strecken eine Chance, durchzukommen, ohne zu übersteuern.

Das Solistenquartett singt dort, wo es das Stück zulässt, wirklich schön, angeführt von der jungen Sopranistin Sara Gouzy. Und auch der um einige Aushilfen verstärkte Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor bewältigt seinen Part eindrucksvoll. Er formt dynamische und textliche Nuancen, die sonst oft untergehen, und entfacht trotzdem den nötigen stimmlichen Strahl. Da ist die unbändige Kraft der Hoffnung zu spüren, mit der das Stück alle Menschen umarmt.