Hamburg. Das Musikteaterkollektiv picnic stellt in Hamburg sein Stück „Just In Case“ vor. Das hält jede Menge Überraschungen bereit.

Eine riesige Kiste blockierte vergangenes Frühjahr den Welthandel. „Was ist eine Kiste?“, fragt Laura Mitzkus. „Hängt sie im Suezkanal fest?“ Die Schauspielerin erinnert dabei an den Containerfrachter Ever Given, der im März tagelang in der ägyptischen Wasserstraße quer stand und ein Durchkommen unmöglich machte. Die Kisten, die bei der Musikperformance „Just In Case“ im Lichthof-Theater zu sehen sind, sind geringfügig handlicher: Veranstaltungscases.

Aufmerksamkeit erregen können aber auch sie, wenn sie in einem einleitenden Film durch leere Fabrikhallen rollen und dabei lautstark schleifen, knirschen, krachen, ein Kistensoundtrack, der in seiner dumpfen Stetigkeit an Technorhythmen erinnert.

Lichthof-Theater: Musikperformance um Kistenästhetik

Die versteckte Musikalität im Alltag zu entdecken, ist die Spezialität des Musiktheaterkollektivs picnic um Regisseur Jens Bluhm, Dramaturgin Lena Carle, Schauspielerin Anna Eger, Sängerin Meredith Nicoll, Musiker Felix Stachelhaus und Kostümbildnerin Gianna-Sophia Weise. Bei „Just In Case“ ist dieser Alltag die Verpackungsästhetik: Szenen werden in Kisten verpackt und führen dort ein Eigenleben. Da passt es, dass Mitzkus und Schauspielkollege Colin Hausberg zunächst einmal minutenlang die Kisten mit dem Aussortierten durchdeklinieren: Was wurde in der Frühphase der Produktion angedacht, später aber verworfen? Eine Kiste zu öffnen, ist auch der sentimentale Blick auf vergessene Ideen.

Und gleichzeitig ein lustbetontes Aufreißen von Verpackungsmaterial. Vor ein paar Jahren entwickelten sich sogenannte „Unboxing“-Videos zum absurden Internet-Hype: kurze Filme, in denen Menschen Einkäufe aus der Verpackung nehmen.

Nicoll und Hausberg stellen solche Videos nach, wobei insbesondere letzterer mit einschläfernder Lethargie eine komödiantische Spitze setzt. Er entpackt ein Schlagzeug: „So, jetzt will ich euch nicht länger auf die Folter spannen!“, lallt er tonlos, nur um dann das Schmuckstück aus der Verpackung zu holen. Na toll, eine Snare! Nicoll packt derweil singend Opernpartituren aus, zerknüllt sie, und während sie das Papier knüllt, suppt ihre Stimme weg: „Der Vogelhändler bin ich ja …“ tiriliert sie Papageno aus Mozarts „Zauberflöte“, „stets lustig murmelmurmel …“ Das sind Momente, in denen Witz, szenische Phantasie und virtuose Musikalität Hand in Hand gehen.

Lichthof: „Just In Case“ hat leichte Durchhänger

Wobei „Just In Case“ dieses Virtuositätsniveau nicht über knapp zwei Stunden hält. Der Abend ist selbst eine Kiste, in die Szenen unterschiedlicher Güte gestopft wurden, eine Kiste, bei der nicht von vornherein klar ist, was man bekommt. Braucht das Stück die x-te Aufzählung? Braucht es eine Diskussion, ob Schauspielerinnen oder Sängerinnen besser mit dem Altern zurechtkommen? Nicht unbedingt. Aber auch nicht wichtig.

Es gibt leichte Durchhänger, und die hängt man dann eben ein bisschen mit durch. Weil man weiß, dass die Kiste weitere Überraschungen bereithält, sei es ein wohlklingender Kanon mit aus den Veranstaltungscases klingenden Tonaufnahmen, sei es dröhnender Punk mit vervielfachtem Schlagzeug, doppelter Bassgitarre und Megaphongesang. Man nennt so etwas: Wunderkiste.