Hamburg. Beeindruckende Tragikomödie: „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ ist zurückhaltend inszeniert und überrascht.

„Wer will schon bei einer passiv-aggressiven Tunte mit schlechten Manieren tanzen lernen?“, fragt Tanzlehrer Michael sarkastisch. Tja. Witwe Lily probiert es mal, obwohl so ziemlich alles gegen einen Erfolg spricht: Die pensionierte Lehrerin war mit einem Baptistenprediger verheiratet, tiefgläubiges US-amerikanisches Provinzbürgertum, da mag man passive Aggression so wenig wie schlechte Manieren, und am allerwenigsten mag man Schwule.

Immerhin gibt sich Lily angesichts ihres Umfelds vergleichsweise tolerant: „Mein Mann hat immer gesagt, man solle die Sünde verachten aber den Sünder lieben“, versucht sie, Sympathien für Michaels Neigung aufzubringen, aber der weiß schon, was er von solchem Verständnis zu halten hat – nichts.

Richard Alfieris „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ ist kein harmonieseliges Wohlfühlstück, sondern eine bitterböse Satire, in der zwei einander fremde Menschen aufeinandertreffen und irgendwie miteinander klarkommen, ohne dass sich ihre Differenzen letztlich auflösen. Viele Inszenierungen (und auch die 2014er-Verfilmung mit Gena Rowlands) versuchen, diese Differenzen einzuebnen und aus dem Stück eine leicht konsumierbare Freundschaftsgeschichte zu stricken, Anatol Preissler entscheidet sich am Ernst Deutsch Theater allerdings gegen diesen publikumsfreundlichen Weg. Seine Inszenierung ist von Anfang an abstrakt gehalten, nichts lenkt von den Spitzen und Bösartigkeiten aus Alfieris Vorlage ab.

Ernst Deutsch Theater: „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ als Saisonauftakt

Schon Peter Schmidts Bühne verzichtet darauf, einen ins naturalistisch gestaltete Wohnzimmer einer älteren Dame zu entführen. Ein Sessel, ein Telefonhörer, mehr Requisiten braucht er nicht, stattdessen hängen die Scheinwerfer deutlich sichtbar im Raum und stellen klar: Das hier ist eine Bühne. Und diese Bühne will betanzt werden. Beziehungsweise bespielt. Preisslers Inszenierung konzentriert sich ganz auf die Performance von Gila von Weitershausen und Mark Weigel, kaum etwas soll von der Spannung zwischen Lily und Michael ablenken.

Wobei der streckenweise aggressive Comedy-Charakter, wie er hier ausgespielt wird, vor allem Weigel entgegenkommt: Er agiert, von Weitershausen reagiert meist nur. Tatsächlich ist Lilys Rolle nicht immer dankbar, und dass sich die Schauspielerin mit zurückhaltender Präsenz darauf einlässt, die zweite Geige neben einem vor Agilität sprühenden Gagfeuerwerker zu übernehmen, zeugt von der Ernsthaftigkeit, mit der sie sich auf die Figur einlässt.

„Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“: Zurückhaltende Inszenierung

Zweipersonenstücke tendieren dazu, zum Wettstreit zwischen Rampensäuen zu werden, aber Preisslers zurückhaltende Inszenierung lässt das nicht zu. Als Rampensau darf Weigel agieren, doch seine forcierte Lustigkeit wird bald als Übersprungshandlung eines tief verletzten Menschen kenntlich. Beide Protagonisten tragen Narben mit sich herum: Lily ist traumatisiert vom Tod ihrer Tochter, Michael vom Tod seines Freundes.

Dass Lilys Tochter an den Folgen eines illegalen Schwangerschaftsabbruchs starb, wird nur kurz erwähnt, ebenso wie dass der Vater auf diese Tragödie keine andere Antwort wusste, als für seine tote Tochter zu beten. Und Michaels Freund? Nachdem die anfänglichen Aversionen zaghafter Zuneigung zwischen den ungleichen Figuren gewichen sind, traut sich Lily, zu fragen, ob er an AIDS gestorben sei. „Bauchspeicheldrüsenkrebs“, giftet Michael zurück. „Wir sterben durchaus auch an anderen Krankheiten.“ Auf die billige Versöhnung in der gemeinsamen Trauer kann man hier noch lange warten.

Tragikomödie mit harmonischen Tanzszenen

Die auf die Figurenzeichnung konzentrierte Inszenierung verhindert, dass die Tragikomödie ins Sentiment kippt – Harmonie finden Lily und Michael nur in den gemeinsamen Tanzszenen, von Kerstin Ried zurückhaltend aber wirkungsvoll choreografiert. Diese Tänze beschreiben nicht mehr die Beziehung zwischen Lehrer und Schülerin, sie beschreiben zwei Menschen, die besser in Bewegungen als in Worten miteinander kommunizieren.

Der ausgesuchte (und angesichts der vorgegebenen Tänze von Swing über Foxtrott bis Tango durchaus originelle) Musikeinsatz tut sein übriges: Wenn sich Lily und Michael zu Coversongs der amerikanischen Indieband R.E.M. durch den Walzertakt schunkeln, dann findet eine Kommunikation statt, die gar keine Worte mehr braucht.

Und am Ende übrigens auch keinen Tanz. Als kurz vor Schluss der Tod seine Arme ausstreckt, tanzen Lily und Michael nicht mehr, stattdessen rotiert die Drehbühne die beiden im Kreis, mal aufeinander zu, dann wieder voneinander weg, während aus den Lautsprechen melancholisch-pathetischer Elektropop von VNV Nation tönt. Und dann sind diese beiden Fremden einander ganz nahe gekommen.

„Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ bis 6.11., Ernst Deutsch Theater, Karten unter ernst-deutsch-theater.de