Hamburg. Deutschsprachige Erstaufführung von „Krum – Ein Stück mit zwei Hochzeiten und zwei Begräbnissen“ ist grotesk-komisch.
Ewiges Strandleben ist auch kein Garant für gute Laune. Obwohl doch alles da ist, was man für eine handelsübliche Idylle braucht: Feiner Sand und ein pittoresker Kletterfelsen, Sonnenunter- und -wiederaufgänge, Wattewölkchen, vor denen Möwen bei Tag und Fledermäuse bei Nacht flattern, ein runder Vollmond und, natürlich, das Plätschern und Glitzern des Meeres. Hach.
Aber von wegen. Stéphane Laimé hat die Thalia-Bühne zwar zum naturgetreuen Küstenstreifen gestaltet, aber schon die Kostüme von Sophie Klenk-Wulff lassen erahnen, dass hier kein unbeschwertes Ferienfeeling aufkommen wird. Trauerschwarz sind die Bikinis, Strandtücher und Badebüxen, und auch wenn der Stoff fällt, ersehnen all die nackten Adams und Evas vor allem die eigene Vertreibung aus diesem „Paradies“.
Theaterkritik: Erstaufführung von „Krum" am Thalia
„Krum. Ein Stück mit zwei Hochzeiten und zwei Begräbnissen“ lautet der etwas umständliche, aber rechnerisch präzise Titel dieses Stückes von Hanoch Levin, eine ausgesprochen komische Tragödie, die der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó nun – fast ein ganzes Jahr, nachdem die Proben ursprünglich stattfanden – zur deutschsprachigen Erstaufführung am Thalia Theater bringt.
Krum ist dabei der Titel(anti-)held dieser bösen Groteske, den Ole Lagerpusch messerscharf als angry young man spielt, dessen Rückkehr nach Hause zugleich sein Scheitern markiert: Er hat es im Ausland zu nichts gebracht, wie die Nachbarinnen nicht ohne Genugtuung registrieren. Nicht einmal ein Souvenir für seine alte Mutter (konzentriert makaber: Barbara Nüsse) war drin, stattdessen: jede Menge Selbsthass, unverdaute Wut und Verachtung, für jene, die es gar nicht erst fort geschafft haben, Seitenhieb ins Publikum inklusive: „Schau doch mal, wie hier alle aussehen, eine Schande!“.
Thormeyer und Neuhäuser haben sichtlich Spaß
Krums Kindheitsviertel ist eine Art Kommune der Miesepeter (und -petras). Alle hier sind beschädigt, ein jeder auf seine Art. Und der Untergang wird zum Originalitäts-Wettbewerb. Das symbiotische Nachbarinnen-Paar Dolce und Felicia zum Beispiel ist weder süß noch glücklich, wie die Vornamen suggerieren; verbittert hangeln und headbangen sich die beiden Frauen von Hochzeits- zu Begräbnis-Buffets, wie jämmerlich diese auch sein mögen („Eine mickrige Polonaise und nichts zu essen!“), um wenigstens mal einen Flachmann abzugreifen.
Oda Thormeyer und Karin Neuhäuser haben sichtlich Spaß an ihren ruppigen, verdrießlichen Parts und verspritzen ihr Gift und ihren Lebensekel derart großzügig, dass es eine helle Freude ist.
Für Truda steht der unterwürfige Tachtich bereit
Krums Geliebte Truda (einmal mehr absolut umwerfend: Maja Schöne) wartet räudig blondiert und verzweifelt verfügbar, obwohl der unterwürfige Tachtich (angemessen nervtötend: Bernd Grawert), der das Leben spürt „wie einen Buckel“, längst als Ersatz-Bräutigam bereit steht. Trudas Glück lauert bei keinem der beiden.
Die Schwermut teilt sich Krum mit seinem Jugendfreund Tugati, einem fanatischen Hypochonder, der über der drängenden Frage, ob er lieber abends oder morgens Sport treiben solle, frustriert den Kopf in den Sand steckt und dem Stefan Stern eine liebevolle Weinerlichkeit verleiht. Auch Lebenslügen können Halt geben – bis sie dann tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Rettung erhofft Tugati sich von Dupa (herrlich hysterisch: Anna Blomeier), in deren Tagträumen jedoch eine Supermarktkasse die verheißungsvollere Rolle spielt: „Mein Lachen wird mit den Münzen aus der Kasse um die Wette klimpern!“
Ein Abend voller Gegensätze
Allen gemeinsam ist die totale Überspanntheit im scheinbar lässigen Abhängen. Kornél Mundruczó lässt sein Ensemble die Skurrilitäten immer noch eine und noch eine Umdrehung weiter treiben. Bis der Wahnsinn schließlich orgiastisch wird. Der Abend mäandert wild durch die Genres, ist tieftraurig und hochkomisch, zart-melancholisch und existenziell finster, mal spülen die Wellen etwas Beckett an den Strand, mal Tschechow, immer begleitet durch die Live-Musik von Daniel Freitag, unermüdlich kontrastiert durch das kitschig-schöne Himmelspanorama auf der bühnenbreiten Videorückwand.
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Die „Hoffnung auf Erschöpfung“ erweist sich als eine vergebliche; einen Ausweg bieten nicht einmal die halsbrecherischen Klippensprünge ins hintere Off (bei denen man jedes Mal bangt, dass das vom Fels verdeckte Wasserbecken bitte tief genug sein möge). Aber die wahren Abgründe lauern ohnehin in den Figuren.
Theaterkritik: Personal am Thalia entblößt sich komplett
Das Personal entblößt sich komplett, seelisch sowieso, aber zunehmend wird es auch körperlich offensiv: viel nacktes Fleisch, wippende Brüste, üppige Arschbacken, klatschende, weit gespreizte Schenkel, ungezügeltes Stöhnen und Keuchen. Brunftbrüllend komisch präsentiert sich dabei vor allem Johannes Hegemann als dauergeiler Stallione, offenherzig zeigt sich Lisa-Maria Sommerfeld als enthemmte Zwitzi. Tim Porath macht als Silenti seinem Namen alle Ehre, wahrscheinlich fällt ihm damit eine der zugleich schwierigsten und dankbarsten Rollen zu.
Überhaupt ist „Krum“ ein Drama, das über das extrem gut harmonierende Ensemble funktioniert. Ein hübscher und zugleich kluger Kniff: Ausgerechnet dem Kollektiv, aus dem hier doch alle auszubrechen versuchen, bereitet Mundruczó die Bühne. Krum hat es, auch wenn die anderen sein Schreiben am Ende tatkräftig verhindern, im Grunde begriffen: Dieser grandios ausschweifende Reigen des Scheiterns bietet erstklassiges Material für einen Roman. Oder eben, dank Hanoch Levin, für einen zu Recht heftig bejubelten Theaterabend.
„Krum – Ein Stück mit zwei Hochzeiten und zwei Begräbnissen“, Thalia Theater, wieder am 23.10., 16.11., 9./10.12., jew. 20 Uhr, Karten: T. 32814-444, www.thalia-theater.de