Hamburg. Das aufwendig gestaltete Kinder- und Jugendtheater soll zum identitätsstiftenden Ort werden. So lief die erste Aufführung.

In Bademänteln stehen sie da, wie gerade aus dem Bett geschält, die drei Schauspielerinnen und drei Schauspieler des Abends. Und dann singen sie Werner Richard Heymanns Schellackplatten-Schlager „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“. Glück hat nun tatsächlich – endlich – das Junge Schauspielhaus, das am Sonnabend an der neuen, aufwendig hergerichteten Spielstätte am Wiesendamm 28 seine Heimat gefunden hat.

16 Jahre Odyssee vom Malersaal in die Gaußstraße und zurück auf die Große Probebühne münden nun endlich in ein eigenes Haus. Im Saal sind bei der Eröffnung alle 180 Plätze belegt. Die Masken sind gefallen, als hätte es sie nie gegeben. Die Eröffnung ist eine 2G-Veranstaltung – im normalen Spielalltag wird nach 3G-Regeln aufgeführt.

Neues Junges Schauspielhaus – ein Zeichen der Zuversicht

Am Ausgang einer Pandemie ein solches Haus zu eröffnen sei ein Zeichen der Zuversicht, so Kultursenator Carsten Brosda in seiner Eröffnungsrede. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Aufgabe, ein junges Publikum für die Welterzählungen des Theaters zu erobern, hier gelingen kann. Es ist ein einladender Ort mit modernem, farbenfrohem Foyer, einem gemütlichen Café, einem schönen großen Saal und einer aparten Studiobühne.

Ein Ort für neue Perspektiven, der Gesellschaft als veränderbar erscheinen lässt, soll es sein, auch ein identitätsstiftender Raum mit Theatertrainings und Workshops, verkündet sichtlich bewegt der künstlerische Leiter Klaus Schumacher. Ein Gegen-Ort zur Überforderung des medialen Geschwindigkeits- und Oberflächenrausches.

Eröffnungsstück: Uraufführung von „Making of Sophie Scholl“

In dem Zusammenhang ist das Eröffnungsstück programmatisch zu nennen. Die Uraufführung von „Making of Sophie Scholl“ haben Klaus Schumacher, der auch die Regie verantwortet, Chefdramaturgin Stanislava Jevic und das Ensemble gemeinsam entwickelt. Die historischen Ereignisse um die Geschwister Scholl, Sophie (1921-1944) und ihren Bruder Hans sowie ihren Verlobten Fritz Hartnagel, nehmen sie als Folie, um in Form eines Film-Drehs von einem Wertesystem, von Wahrhaftigkeit, Zusammenhalt und Glauben zu erzählen.

Die Inszenierung bespielt das ganze Haus, beginnend mit einem Prolog im Foyer, in dem Hermann Book als Produzent und Christine Ochsenhofer als Regisseurin über ihre Motivation sprechen. „Wir müssen uns erinnern. Daran, wie wichtig es ist aufzustehen, Widerstand zu leisten“, sagt Ochsenhofer. Auf der Studiobühne werden gerade junge Sophie-Scholl-Darstellerinnen gecastet.

Die Kamera projiziert das Gesicht von Ronja (Alicja Rosinski) auf die Wand, während sie von Severin Mauchle als Hans Scholl angespielt wird, der gerade im Gefängnis einsitzt. Die Szene ist so naturalistisch wie eine Tatort-Begegnung, aber in Rosinskis Gesicht spiegelt sich die ganze Erschütterung über das Leid des von Rilke inspirierten, wegen Wehrkraftzersetzung und Homosexualität angeklagten Bruders und weitet sich in die Erkenntnis des nationalsozialistischen Unrechtsregimes.

Eine verletzliche und eine unerschrockene Sophie Scholl

Dass sie nicht von Anfang an die Widerstandskämpferin war, als die sie in die Geschichtsbücher einging, wird später auf der Hauptbühne erzählt. In einem von Ausstatterin Katrin Plötzky errichteten historischen Drehbühnen-Filmset tritt Sophie Scholl gleich zweifach auf, einmal verletzlich verkörpert von Alicja Rosinski, einmal unerschrocken von Jara Bihler. Im Verhör werden beide abwechselnd von Nico-Alexander Wilhelm so lange mit markigen Worten traktiert und als „privilegierte Nestbeschmutzer“ verunglimpft, bis die Weiße Rose als Urheber der verbotenen Flugblätter gegen die NS-Diktatur entlarvt ist – das Schicksal der Geschwister Scholl besiegelt eine Prozess-Szene.

Mit einem für das Junge Schauspielhaus fast experimentellen Formwillen, düster atmosphärischen Cello- und Gitarren-Klängen von Tobias Vethake und einem engagierten Darstellerteam, wird der Mensch Sophie Scholl hinter der „Heldin“ fassbar. Eine junge Frau, die als Jugendliche von der NS-Ideologie durchaus verführt wurde und begeistert in den „Bund deutscher Mädel“ eintrat.

Die sich schließlich im Widerstand politisierte – mit radikaler Konsequenz. Die Film-Ebene vergrößert die inneren Kämpfe der beiden exzellenten Sophie-Darstellerinnen aufs eindringlichste. Die Doppelbesetzung durchbricht den Realismus und setzt poetische Schlaglichter, auch auf eine lebensfrohe Frau. Junge Menschen dürfte sie faszinieren, weitere Fragen werden sicher aufkommen. Die haben nun einen tollen neuen Ort in der Stadt.

„Making of Sophie Scholl“ für Jugendliche ab 13 Jahren läuft wieder am 5.10., 8.10., 1.-4.12., jew. 19.00, Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Karten: T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de