Hamburg. Der Schotte stellte „Shuggie Bain“ in der Freien Akademie der Künste vor – und bewies, dass er Starpotenzial hat. Die Hintergründe.
Es war die erste Lesung für Douglas Stuart in Deutschland überhaupt. Das ist nicht unbedingt ein krasser Aha-Effekt. Stuart, Jahrgang 1976, ist gewissermaßen erst 2020 auf der Bildfläche erschienen. Was nicht heißt, dass Stuart vorher erfolglos gewesen wäre. Als Modedesigner arbeitete er unter anderem für Calvin Klein. Wenn es so etwas wie eine wahre Berufung gibt, fand der Schotte sie aber im Schreiben. Sein gefeiertes Debüt „Shuggie Bain“ erschien im vergangenen Jahr. Der Roman ist eine Sensation und gewann völlig zu Recht den Booker Prize.
Und nun also sein Auftritt beim Harbour Front Literaturfestival, auf dem der so unwahrscheinliche Bestsellerautor, der ein Jahrzehnt an „Shuggie Bain“ arbeitete, auch für einen großen Mangel entschädigt wurde. Seinen großen Erfolg feierte Stuart bisher vor allem auf dem Sofa, der Pandemie wegen. In der Freien Akademie der Künste war er unter Leuten – und die bereiteten ihm eine schöne Atmosphäre. Douglas Stuart hat, in den Dimensionen der Literaturszene, Starpotenzial. In Hamburg bekam er jede Menge Applaus.
Douglas Stuart: „Shuggie Bain“ erntete viel Lob
Das mochte auch am Auftritt des eloquenten Wahl-New-Yorkers liegen, und es liegt vor allem aber an diesem Buch mit den deutlich autobiografischen Zügen, das Stuart zum Instant-Ruhm als Schriftsteller verhalf. Moderator Jan Ehlert nannte „Shuggie Bain“ das „intensivste, traurigste, schönste Buch des Jahres“, und das kann man vermutlich so stehen lassen. Der Roman erzählt von einem Sohn und seiner Mutter im Glasgow der 80er- und 90er-Jahre.
Von Agnes Bain, die säuft, und Shuggie, der sie zu retten versucht. Von Agnes, die im Leben viel Pech hatte, vor allem mit den Männern, und von Shuggie, der anders ist als andere Jungen. Weil er schwul ist und das so aber noch nicht benennen könnte; und auch, weil er schon als Fünfjähriger die Verantwortung für seine Mutter übernehmen muss. „Man kann nicht mehr Liebe für einen Menschen zeigen, als wenn man sich um ihn kümmert“, sagte Douglas Stuart, für den sein Buch eine nachträgliche Auseinandersetzung mit seiner Mutter ist.
Harbour Front Festival: Stuart gab persönliche Einblicke
Mark Waschke las aus der deutschen Übersetzung von Sophie Zeitz; angesichts der ausgewählten Stellen bekam man von beiden Protagonisten einen Eindruck, von der Alkohol-Abhängigen, die wenig verlässlich ist, und dem Kind, das so gerne „normal“ wäre, aber ein Außenseiter ist. Moderator Ehlert fragte etwas nassforsch nach dem Grad des Autobiografischen, wobei die Frage allerdings zwar nicht entscheidend, aber eben doch naheliegend ist. Stuart wuchs in Armut auf, aber eine Abrechnung mit den Thatcher-Jahren, in der die Arbeiterschicht abschmierte, ist dder bald in 40 Übersetzungen vorliegende Roman „Shuggie Bain“ dezidiert nicht.
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Was der Roman auf jeden Fall ist, ist der Triumph des Arbeiterkindes. Er habe, erzählte Stuart, jahrelang nur für sich geschrieben und nur seinen Mann ins Vertrauen gezogen. Der Gedanke, tatsächlich ein Buch zu schreiben, sei einschüchternd gewesen. „Jungs aus der Arbeiterschicht gehören nicht in die akademische Welt, hieß es immer“, sagte Stuart.