Hamburg. Beim Harbour Front Festival wurden Vater und Sohn mit dem Tüddelband ausgezeichnet, Klaus-Michael Kühne-Preis ging an eine Berlinerin.

Den naheliegenden Auftrag führte der Schriftsteller Saša Stanišić mit Geduld und Hingabe aus: Er hörte den Kindern im St. Pauli Theater gut zu. Sie hatten ja viel zu sagen zu seinen Taxi-Geschichten. Der mit dem Motormann und der mit der Giraffe. Der mit dem Drachen sowieso. Ihnen gefiel, was sie hörten. Vielleicht war es tatsächlich so, wie Moderatorin Katrin Hörnlein sagte: Die Kinder machten Lärm, als wäre das St. Pauli Theater nicht nur zu Hälfte, sondern ganz gefüllt.

Am Sonnabend bekam Stanišić in diesem Rahmen, der bestätigte, warum diese Auszeichnung genau an den Richtigen ging, das diesjährige Hamburger Tüddelband. Für sein Kinderbuch „Hey, hey, hey, Taxi!“, ein Debüt der besonderen Art. Weil es beweist, dass der gleichermaßen von Kritikerinnen und Lesern geschätzte Hamburger Autor („Vor dem Fest“, „Herkunft“) nicht nur Erwachsenenbücher schreiben kann. Er darf nun als der beste Viel-Generationen-Mann des Literaturbetriebs, der Buch-Allrounder schlechthin gelten. Kinder, Abiturienten, ganz Große: Saša Stanišić macht Literatur für alle.

Niedliches Sieger-Duo beim Harbour Front Festival

Besonders sind „Hey, hey, hey, Taxi!“ und Hamburger Tüddelband 2021 aber auch deswegen, weil Stanišić bei der Preisverleihung nicht allein auf der Bühne stand. Katja Spitzer, die Illustratorin des im Mairisch-Verlag erscheinenden Buchs, war es nicht, die ihn begleitete – dies war vielmehr sein sechsjähriger Sohn Nikolai.

Als Co-Autor und Miterfinder der Taxi-Geschichten. Ja, das war ein Glücksfall für das Harbour Front Festival, jenes mit einigen Rest-Veranstaltungen noch bis zum zwölften Oktober laufenden Literaturfests: Der Niedlichkeitsfaktor eines derartiges Sieger-Duos ist nicht zu unterschätzen, das St. Pauli Theater war diesem sonst nicht weiter auffälligen Septembertag auch: ein Honigtopf.

„Ich will mir eine Kamera und ein Fernglas kaufen“

Nikolai, gerade eingeschult, erklärte auf Nachfrage auch, was er mit seinem Drittel der 3000 Euro Preisgeld anzustellen gedenke: „Ich will mir eine Kamera und ein Fernglas kaufen.“ Worauf Stanišić senior („Aber der Rest kommt aufs Konto“) nicht anders konnte, als einerseits vaterstolz zu lächeln und andererseits auf die Investitionsbremse zu treten.

Das Preisverleihungswochenende beschloss die Hauptphase des Festivals, und Harbour-Front-Chefin Petra Bamberger mag, als sie sonnabends beglückt („Das Festival läuft überragend!“) durch die Gänge des Theaters lief, schon halb an ihren sonntäglichen Termin an der Außenalster gedacht haben.

Kuderewski im Luxushotel The Fontaney geehrt

Da stand die Übergabe des mit 10.000 Euro dotierten Klaus-Michael Kühne-Preises im Edelhotel des Preisstifters an. Im The Fontaney wurde die Jungautorin Olivia Kuderewski geehrt. Ihr Roman „Lux“ ist für die vom Harbour Front Festival bestellte Expertenjury das beste Debüt des Jahres. Die 32-jährige erhielt die Preisurkunde im Beisein der Festivalmacher Bamberger, Niko Hansen und Heinz Lehmann – und dem der Jury. Was bei derartigen Angelegenheit Usus ist, in diesem Falle aber interessant wurde.

Denn stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen aus der Hauptjury, Stephanie Krawehl, Anna-Lena Scholz, Meike Schnitzler und Felix Bayer, erklärte der Literaturkritiker und Moderator Stephan Lohr im Gespräch mit den Vorjuroren – die finalen Acht müssen aus einer ganzen Menge (55!) Einreichungen destilliert werden – Dora Heldt und Jens Büchsenmann dem Publikum nicht nur, wie solch eine Preiskür allgemein abläuft. Sondern auch, wie es diesmal im Speziellen war.

Kuderewskis Roman thematisiert das Unterwegssein

So durfte auch Olivia Kuderewski dann erfahren, wie knapp die Entscheidung für sie war. Stephan Lohr: „Wir haben uns schon gefragt, ob wir in diesen Zeiten den einzigen männlichen Finalisten überhaupt hätten auswählen dürfen, ohne einen Shitstorm zu riskieren.“ Ein erfrischend transparentes Vorgehen, das die Qualität von Kuderewskis Roman nicht schmälerte.

Der spielt in Amerika und handelt: vom Unterwegssein in Amerika. Kein unpopuläres Thema, das von der Wahlberlinerin Kuderewski ästhetisch stark umgesetzt wurde. Sinnlich schildere die Autorin ihre Heldin mit deren „Trauer, Verunsicherung und ihren Kampf, sich selbst zu finden“. Und weiter heißt es in der Jurybegründung: Atemlos treibe Kuderewski dabei ihre Figur von der Ost- an die Westküste, sie „beschreibt eine so faszinierende wie zerstörerische Freundschaft zwischen Lux und der kompromisslosen Vagabundin Kat“.

Kudereweski las das Ende des Buchs vor

Eine Kostprobe, wie man so sagt, lieferte Kudereweski von jener nicht alltäglichen, angespannten Beziehung in ihrer Lesung aus dem Roman. Sie las, und zwar absichtlich, das Ende ihres Buchs; um anschließend dem Publikum richtigerweise mitzuteilen, es werde erst bei der Lektüre ihres Werks erfahren, wie es zu diesem Ende kam. „Lux“ ist, das wurde jedenfalls klar, ein eindringlicher Text einer talentierten Autorin mit der Gabe der Beobachtung.

Petra Bamberger war es, die abschließend mit dem Satz „Nach dem Klaus-Michael Kühne-Preis ist vor dem Klaus-Michael Kühne-Preis“ eine frohgestimmte und unbedingt willkommene Ansage für 2022 machte. Mit Hamburgs Literaturfest ist weiter zu rechnen.

Junges Publikum bei Stanišić im St. Pauli Theater

Wie allgemein mit der Literatur und ihrem Vermögen, ein Publikum zu fesseln. Im St. Pauli Theater, bei Saša Stanišić, war dieses so jung wie nur irgendeines. Es hing durchaus an den Mitteln des wunderbar kindgerecht („Habt ihr schon mal ein Klo in einem Taxi gesehen?“) auf der Bühne erzählenden und posierenden Autors, der die Kraft des Erzählens bezeugte. Sein letztes Kinderstück präsentierte er auf Serbokroatisch. Das ist die Sprache, in der er mit seinem Sohn auch spricht – in ihr entstanden alle Geschichten.