Hamburg. Mit „Wakatt“ eröffnet der Choreograf Serge Aimé Coulibaly die neue Spielzeit auf Kampnagel und sorgt für einen aufrüttelnden Abend.

Die Sonne kämpft sich im Bühnenhintergrund hervor – oder sie geht unter. Man weiß es nicht. Vor ihr schälen sich schemenhaft Tanzende in eingefrorenen Bewegungen aus dem Dunkel der Bühne: in Einsamkeit erstarrt, mit Gegnern kämpfend, Schutz suchend. Es sind eindringliche Bilder, die zehn Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich durch etwas, das aussieht, wie feine schwarze Asche. Ein Endzeittanz.

Der Titel ist Programm. „Wakatt“, also „Unsere Zeit“, heißt die neue Produktion von Serge Aimé Coulibaly und seiner Kompanie Faso Danse Théâtre, die nun – mehrfach verschoben – die neue Spielzeit auf Kampnagel eröffnete. Und auch wenn ihr stark das Entstehen unter dem Eindruck der Pandemie anzumerken ist, könnte diese Arbeit des Choreografen aus Burkina Faso kaum relevanter sein.

Kampnagel: Tänzer bewegen sich in apokalyptischer Landschaft

Mit enormem Körpereinsatz und grandioser technischer Virtuosität spielt das Ensemble Szenen von Verzweiflung, Rebellion, körperlichem Aufbegehren gegen die Ohnmacht einer diffusen Bedrohung. Das Geschehen bleibt aber nicht auf die Pandemie beschränkt, sondern weitet sich auf den Umgang mit der Natur, den Mitmenschen und dem Klimawandel.

In dieser apokalyptischen Landschaft haben die Tanzenden zugleich etwas Futuristisches. Und: Ja, es geht auch um einen Aufbruch. Diesen Eindruck vermitteln schon die tollen, teils neonfarbigen Gewänder, wie auch das Bühnenbild gestaltet von Catherine Cosme, die von Afrofuturismus und Science Fiction erzählen.

Immer wieder lösen sich die Tanzenden in Kleingruppen zu dritt, zu viert auf, vollführen Drehungen, Sprünge, aberwitzige Saltos und artistische Stürze. Das Tempo ist extrem dynamisch, das Bewegungsvokabular vielschichtig. Mal gehen sich die Performenden körperlich richtig an. Dann wieder tragen sie einander mit großer Zartheit.

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Zur beunruhigenden Atmosphäre trägt, wie immer bei Coulibaly, entscheidend die Live-Musik bei, hier performt von dem grandiosen Magic Malik Orchestra, einem erfahrenen, in Paris beheimateten Jazz-Trio bestehend aus dem Flötisten Malik Mezzadri (Magic Malik), dem Drummer Maxime Zampieri und dem Bassisten Jean-Luc Lehr. Magic Malik wechselt dabei in Sekundenschnelle zwischen Flöte, Stimme und Pfeife. Der tief rumorende Bass gibt die beklemmende Stimmung vor. Tanz und Musik beflügeln und irritieren einander.

Coulibaly zeigt hier stärker noch als in den Vorgängerarbeiten wie „Kalakuta Republic“ oder „Kirina“ seine Nähe zum Tanztheater von Alain Platels Ballets C de la B, das ihn selbst als Tänzer einst geprägt hat. Eines, das sich nicht in der reinen Bewegung erschöpft, sondern Narrativen folgt, dabei aber zugleich wohltuend abstrakt bleibt. Die künstlerische Gratwanderung gelingt auch, weil er entsprechend ausdrucksstarke Tänzerpersönlichkeiten versammelt, wie den feingliedrigen Ahmed Soura, die expressive Marion Alzieu, den tollen Platel-Tänzer Jean-Robert Koudogbo Kiki und den zuletzt bei Jan Fabre glänzenden Marco Labellarte. Irgendwann erklimmt Antonia Naouele einen am Bühnenrand platzierten Goldberg, an dem sich bald darauf schwarze Lava herunterrankt.

Während sich der Schrecken und die Kämpfe auf dem Aschefeld zunehmend in eine befreite Feier des Lebens aufzulösen scheinen, erscheint ein Tänzer mit Bombenweste. Das ist dann doch ein sehr explizites Bild, seine aufrüttelnde Wirkung verfehlt es jedoch nicht.

Serge Aimé Coulibaly: „Wakatt“ bis 25.9., jew. 20.00, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de