Hamburg. Philharmonisches Staatsorchester Hamburg bot ein Violinkonzert mit einem Dutzend Bläsern und vier Streichern dar. Die Konzertkritik.
Dass die gewohnten Formate klassischer Sinfoniekonzerte immer häufiger aufgebrochen werden und mehr Raum für Repertoire auch in kleinen und kleinsten Besetzungen neben großen Orchesterwerken oder sogar für Lesungen lassen, hat auch mit der Pandemie zu tun. Als das erste Philharmonische Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg vor langer Zeit geplant wurde, wusste man noch nicht, in welcher Lage wir uns heute befinden.
Ein Violinkonzert mit einem Dutzend Bläsern und vier Streichern als Begleitung sowie die Bearbeitung eines klassischen Streichquartetts für ein schlank besetztes Streichorchester, wie wir es am Montag in der Elbphilharmonie hören durften, schien da eine gute Wahl. Eine gute Wahl war es aber auch, dass man für Alfred Schnittkes Konzert Nr. 3 für Violine und Kammerorchester den lettischen Geiger Gidon Kremer als Solisten gewinnen konnte.
Elbphilharmonie: Kremer spielte mit ergreifender Sensibilität
Kremer kannte den russischen Komponisten Schnittke, der seine letzten Lebensjahre bis 1998 in Hamburg verbrachte und setzte sich sowieso für die Komponistengeneration nach Dmitri Schostakowitschs Tod im Jahr 1975 in aller Welt ein. Auch für die in Appen bei Pinneberg wohnende Russin Sofia Gubaidulina, die im Oktober 90 wird und der er mit Aufführungen ihres Violinkonzerts Offertorium einst zum Durchbruch verhalf.
Kremer, der am 27. Februar 2022 seinen 75. Geburtstag feiert, spielte Schnittkes Konzert mit dieser ergreifenden Suggestionskraft und Sensibilität, die seinen Stil so einzigartig macht. Energisch und direkt klang bereits sein überaus langer solistischer Auftakt mit trillerverzierten, förmlich zitternden Melodiefolgen.
Konzert Elbphilharmonie: Blechbläser fuhren hart dazwischen
Die enorme Spannung seines Spiels, die sich auch in seiner Körperhaltung ausdrückte, wenn er vor einer sich aufbauenden Phrase etwa leicht in die Knie ging, sich dann streckte und mit leicht geöffnetem Mund die ergreifendsten Töne hervorzauberte, übertrug sich auf die Philharmoniker unter Kent Naganos Leitung unmittelbar. Atonale Passagen, beißend scharfe Piccoloflöten- oder Es-Klarinetten-Einwürfe begegneten melodischen Floskeln, die wie ein Liedthema von Franz Schubert klangen und doch nur ein Pseudozitat von Schnittke waren.
Da schrak man natürlich zusammen, wenn dann die Blechbläser hart dazwischen fuhren, bevor der Verlauf wieder ins Rätselhafte und quasi zufällig Zusammengefügte entglitt. Kremer fing die Stimmung danach mit der Zugabe eines zu Herzen gehenden Präludiums für Violine solo von Mieczyslaw Weinberg auf, der bereits ein Jahr vor Schnittke gestorben war.
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Diesem Spiel mit den Schwankungen unserer Gefühlswelten, dem Kontrast zwischen Glückseligkeit und tiefster Depression, wie es Schnittke beherrschte, begegneten wir in Schuberts Streichquartett d-Moll D 810 „Der Tod und das Mädchen“ noch einmal auf andere Art. Nagano und die Philharmoniker hatten eine Fassung für Streichorchester ausgewählt, die kein Geringerer als Gustav Mahler während seiner Hamburger Jahre angefertigt hatte, und ließen vor und zwischen den Sätzen Martina Gedeck Texte von Schubert selbst und Dichtern wie Heine oder Claudius, die er vertont hat, zitieren.
Leider durchbrach Gedeck ihren permanenten Leidensausdruck in ihrer Rezitation kaum, obwohl diese Texte trotz ihrer Schwermut doch eine viel größerer Vielfalt an Unter- und Zwischentönen verdient hätten.