Hamburg. Zum 75. Geburtstag bringt Sewan Latchinian mit viel Witz „Der koschere Himmel“ auf die Bühne. Eine gelungene Inszenierung.
Eigentlich hätte die Feier bereits am 10. Dezember vergangenen Jahres stattfinden sollen. Doch die Pandemie verhinderte, wie so vieles, auch die Würdigung von Ida Ehre, die im Dezember 1945 die Hamburger Kammerspiele im Grindelviertel gegründet und zu einem der wichtigsten Orte für zeitgenössische Dramatik in Deutschland gemacht hatte. Nun gratulierte Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda dem Theater eben nachträglich zum 75. Geburtstag und erinnerte noch einmal daran, was der „Mutter Courage des Hamburger Theaters“ wichtig gewesen sei: die Suche nach ewigen Wahrheiten und der Auftrag, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
Die jüdische Regisseurin brachte unzählige Ur- und Erstaufführungen im Haus an der Hartungstraße heraus, darunter Stücke von Jean-Paul Sartre, T.S. Eliot, Thornton Wilder und natürlich Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Auch die Saison 2021/22 begann am Sonntag mit einer Uraufführung: Sewan Latchinian inszenierte „Der koschere Himmel“, eine Komödie von Lothar Schöne.
Hamburger Kammerspiele feiern jüdisches Leben
Das Stück steht am Beginn der Spielzeit, weil in den Kammerspielen „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gefeiert werden. Das Haus in Rotherbaum wurde durch Ida Ehre nach der Nazizeit wieder zu einem wichtigen Zentrum für jüdisches Theater, aber nicht ausschließlich. Es ging der Prinzipalin um ein „Theater der Menschlichkeit und der Toleranz“.
Nach Ehres Tod und verschiedenen Intendanten ist es Axel Schneider zu verdanken, dass die Kammerspiele weiterhin ein wichtiger Theaterort in Hamburg sind. Schneider, seit 2003 verantwortlich, erinnerte noch einmal an den schwierigen Start vor 18 Jahren. Hiobsbotschaften am laufenden Band und gnadenlose Verrisse führten dennoch nicht zum „Tod der Kammerspiele“, wie eine Hamburger Zeitung damals titelte, sondern letztlich zu Jahrzehnte langer künstlerischer Konstanz mit einer Reihe von großen Erfolgen.
„Der koschere Himmel“ dreht sich um die Jüdin Rosa
Auch „Der koschere Himmel“ wird sich in die Phalanx der bemerkenswerten Stücke einreihen. Alles dreht sich darin um Rosa. Die jüdische Frau – mit Corinna Harfouchs Stimme aus dem Off – möchte eigentlich nach jüdischem Ritus begraben werden, aber auch an der Seite ihres bereits vor Jahren verstorbenen Mannes ruhen. Der jedoch war Christ und hat auf dem städtischen Friedhof seine letzte Ruhe gefunden.
Was also tun? Rosas Sohn Bernhard, den Markus Majowski als überforderten Zauderer spielt, rauft sich das schüttere Haar und weiß keinen Rat, der aus Tel Aviv angereiste Bruder Fred (herrlich lakonisch: Franz-Joseph Dieken) und seine Frau Tova (Helen Schneider) tragen auch nicht zur Lösung bei. Und Bernhards Verlobte Jutta (Antje Otterson) fühlt sich von der orthodoxen Tova geradezu überrollt.
Ein Clash der Religionen mit viel Witz
Sewan Latchinian hat diesen Clash der Religionen mit viel Witz inszeniert. Das Beharren auf Jahrtausende alten Riten kann menschliche Lösungen verhindern, manchmal bedarf es des Mutes, sich über Normen im Sinne der Menschlichkeit hinweg zu setzen. Rosa findet schließlich eine passende Ruhestätte und wird ihren Söhnen auch vergeben, dass sie als Zwischenlösung in einer Gefriertruhe gelagert werden muss.
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Zum Gelingen des Stückes tragen zwei junge Schauspieler ganz entscheidend bei: Raika Nicolai und Riccardo Ferreira studieren beide im dritten Jahr an der Hochschule für Musik und Theater (HMfT). Sie müssen in insgesamt 14 verschiedene Rollen vom palästinensischen Kioskbesitzer über eine knöcherne Schuldirektorin bis hin zum Oberrabbiner schlüpfen und zeigen eine enorme Bandbreite an ernsten und komischen Szenen. Von diesen beiden Schauspieltalenten wird man in Zukunft sicher noch einiges hören und sehen.
Gelungene Inszenierung in Hamburger Kammerspielen
Äußerst gelungen ist auch der Einsatz der Musik. Emanuel Meshvinski, erst 20 Jahre alt und ebenfalls Studierender an der HMfT, verstärkt mit seiner Geige die Stimmungen auf der Bühne. Seine Palette reicht von melancholischem Schmelz bis zu dissonanten Passagen, er ist zwar allgegenwärtig auf der Bühne, hält sich jedoch im Hintergrund.
Das Premierenpublikum reagiert mit begeistertem Applaus auf die gelungene Inszenierung. Mit viel jüdischem Humor und einer Menge zündender Ideen hat Latchinian die Komödie auf die Bühne gebracht und dabei ein gutes Händchen bei der Schauspielerführung bewiesen. Ida Ehre hätte an diesem Abend sicher auch ihren Spaß gehabt.
„Der koschere Himmel“, wieder vom 23. bis 25.9., jew. 19.30 Uhr, Hamburger Kammerspiele, Hartungstr. 9-11, Karten ab 18 Euro unter T. 4133 440; www.hamburger-kammerspiele.de