Hamburg. Die Uraufführung des David-Grossman-Romans „Was Nina wusste“ im Malersaal ist ein eindringlich gespielter, intensiver Abend.
Der Musikkapelle, die sich da im Malersaal des Schauspielhauses zum Geburtstagsständchen zusammenfindet, haftet etwas merkwürdig Verkrampftes an. Brav bezopft knien Ute Hannig und Eva Maria Nikolaus wie Kinder mit Viola und Schlagwerk vor den Mikrofonen, Sandra Gerling verschwindet hinter einer großen Trommel, und Maximilian Scheidt gibt den Animator an der E-Gitarre.
Die Bühne, von Regisseur Dušan David Pařízek selbst gestaltet, ist überwiegend karg, ein Holzpodest mit Säulen, Tageslichtprojektoren, Kostüme an Kleiderstangen. Die Mittel der Illusion liegen allezeit offen. Mit ihrer Hilfe und dank eines tollen Ensembles gelingt es Pařízek, in der Uraufführung von „Was Nina wusste“ nach dem Roman von David Grossman berührend, tief und groß von harten Themen zu erzählen: Totalitarismus, Folter, Familientraumata.
Die Familie um die es hier geht, kann man nur dysfunktional nennen. Da ist Vera, eine kroatische Jüdin aus Mitteleuropa, in den 1950er-Jahren nach Israel ausgewandert, wo sie im Kibbuz ihren 90. Geburtstag begeht. Diese Vera wird unnachahmlich stur, kraftvoll und auch sehr komisch mit osteuropäischem Akzent gespielt von Ute Hannig. Ihr erster Mann Milos ist gestorben, von ihm blieb ihr Tochter Nina, doch die ist ein schwieriges Kind: „Nina war nie da, das ist ihr Beitrag zur Familie.“ Eva Maria Nikolaus spielt sie mürrisch, hektisch im Kreis laufend, mit gewaltiger Wut im Bauch.
„Was Nina wusste“: Eine Geburtstagsfeier bringt die Wende
In Israel tut sich Vera in einer grandios unbeholfenen Szene mit Tuvia zusammen, der seinen Sohn Rafael mitbringt – beide expressiv und feinnervig verkörpert von Maximilian Scheidt. Rafael wiederum verliebt sich in Nina, doch die flieht mit all ihrer Haltlosigkeit, so weit wie es nur geht, bis an den Polarkreis.
Aufgerollt wird die Familientragödie von Ninas Tochter Gili, gespielt von Sandra Gerling, der ebenfalls die Mutterliebe verwehrt blieb. Harte, unerbittlich gewordene und doch verletzliche Frauen sind es, die scheinbar die Beziehung zu ihren Gefühlen verloren haben. Mithilfe eines selbstgedrehten Films versucht Gili die Genese des Familienunglücks zu verstehen. In harten Schwarz-Weiß-Kontrasten bannt sie die Gesichter auf die karge Malersaal-Wand.
Hier finden Sie alle aktuellen Kritiken des Abendblattes
Die Geburtstagsfeier bringt die Wende, auch die inzwischen von der Krankheit des Vergessens gezeichnete Nina reist mit auf die Straflager-Insel Goli Otok, von Tito einst im damaligen Jugoslawien eingerichtet. Hier wurde Vera eingesperrt, gefoltert, gedemütigt, nachdem sie sich geweigert hatte, Milos als stalinistischen Spion zu denunzieren. Der Preis war der jahrelange Verlust der Tochter, Nina, die sich auf ewig verraten fühlte.
Mit äußerster Genauigkeit fächert Pařízek in der Inszenierung die von Generation zu Generation weitergetragenen Traumata auf, die in den politischen Weltläufen, Nationalismus und Kommunismus, Gefängnis und Unmenschlichkeit ihre Wurzeln haben. Gleichzeitig bricht der Regisseur die schweren Themen immer wieder mit intensiven Momenten der Heiterkeit auf, mit Lebenslust, Zärtlichkeit und Musikalität. Ein eindringlich gespielter, beklemmend intensiver Abend.
„Was Nina wusste“, wieder am 11.10., 20.00, 12.10., 19.00, 13.10., 19.00, Malersaal im Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de