Hamburg. Publikum sorgt für Störgeräusche im Großen Saal. Dennoch war das Konzert mit Bariton Matthias Goerne eine wahre Sternstunde.

Was ist das denn? Von wegen ta-ta-ta-taaa. Bei Manfred Honeck und dem Gustav Mahler Jugendorchester im Großen Saal der Elbphilharmonie klingt es ta, Luftholen, ta, Luftholen, ta, Luftholen, taaa. Jedesmal wenn das Kopfmotiv von Beethovens Fünfter, vermutlich die berühmteste Tonfolge der gesamten klassischen Musik, unisono erklingt und auf dem langen Ton innehält, reduziert Honeck das Tempo auf etwa ein Viertel.

Wenn dann die Musik in Fluss gerät, die Motive sich in den Streichern übereinanderschichten, dann haben die drei Achtelnoten wieder den Charakter, wie er dem musikalischen Zusammenhang entspricht: Sie führen knapp, leicht und entschlossen auf den vierten, längeren Ton hin, zielen aber weit darüber hinaus.

Beethovens Fünfte furios interpretiert

Vielleicht wollte Honeck stellvertretend für den wehrlosen Beethoven der Wut darüber Ausdruck verleihen, wie die Fünfte über die Jahrzehnte missbraucht, trivialisiert, entstellt worden ist und immer noch wird. Vielleicht wollte er auch einfach nur an Hörgewohnheiten rütteln. Jedenfalls klingt die Sinfonie an diesem Abend so kontrastreich, hochdramatisch und überraschend, als wäre sie taufrisch. Honeck weiß genau, was er will. Und er bekommt es.

Mit dieser furiosen Fünften beschließt das Gustav Mahler Jugendorchester ein Programm, wie es ungeachtet des Corona-Stundenformats gehaltvoller und aufregender nicht sein könnte. Das Orchester gehört zu der Handvoll phänomenaler Klangkörper, die einst der große Claudio Abbado ins Leben rief. Niveau und Geist des Abends zeugen beredter dessen Vermächtnis, als es Worte je könnten.

Berufsorchester würden sich die Finger lecken

Schon das einleitende „Siegfried-Idyll“ lässt aufhorchen. Wagners sinfonische Dichtung ist motivisch eng mit dem Ring-„Siegfried“ verknüpft – und noch enger mit dem Familienleben Komponisten, das zur Entstehungszeit ausnahmsweise mal in Dur verlief. Ein duftiges, federleichtes, intimes Werk, für Wagners Verhältnisse klein besetzt. Mühelos verweben sich die Stimmen und bleiben doch allezeit hörbar.

Honeck zeichnet so fein, das Orchester spielt so schlafwandlerisch sicher zusammen, dass die Verzierungen und andere kleinteilige Figuren sprechen und gleichsam beiläufig ihren Charme entwickeln können. Nie hängt die Musik, schleppt oder nuschelt, sondern sie öffnet sich frei gen Himmel. Diskreter Witz prägt die tänzerischen Passagen.

Nach der klanglichen Kohärenz und der Artikulationskultur der Streicher würde sich manches Berufsorchester die Finger lecken, der Bläsersatz ist hervorragend bis verblüffend, etwa die drei Hörner, die sich lässig reihum abwechseln.

Jugendorchester ist nur ein paarmal hinterher

Ergreifend auch die fünf Schubert-Lieder, die das Orchester mit dem Bariton Matthias Goerne in Bearbeitungen von Alexander Schmalcz und Anton Webern aufführt. Honeck hat das Begleiten von Sängern im kleinen Finger, er folgt Goerne hochsensibel, so dass der sich stimmlich wie gestalterisch ganz frei fühlen und an das Publikum im ganzen Saal wenden kann. Goerne adelt auch die etwas biederen Bearbeitungen von Schmalcz mit der Intelligenz und ganz dem Moment verhafteten Wandelbarkeit seines Singens.

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Ein paarmal ist das Orchester ein wenig hinter ihm her, aber dafür entschädigen Momente wie das kurze, beseelte Bratschensolo in „Fischers Liebesglück“ oder der schubert-schwarze Faden, den der geniale Bearbeiter Webern der Fagottstimme im „Wegweiser“ einwebt.

Handyklingeln und Husten im Publikum

Im Publikum wird nach jedem Lied dazwischengeklatscht. Nicht mal frenetisch, eher so, als würde jeweils ein Haken an den Titel gemacht. Dabei versucht Goerne, ihnen zu bedeuten, dass es noch weitergeht. Da haben wir sie, die gute alte Elbphilharmonie. Es braucht gar kein volles Haus, auch bei halber Besetzung kann ein Mobiltelefon in den Anfang des „Siegfried“-Idylls klingeln, husten an einer leisen Stelle ein paar Menschen und wird nach jedem Sinfoniesatz applaudiert.

Dieser frühe Abend bleibt dennoch eine Sternstunde. Wir werden sie nicht so schnell vergessen. Den gesammelten Dickfelligkeiten zum Trotz.