Hamburg. Der brasilianische Nationalheilige verscheucht in der Elbphilharmonie die Traurigkeit. Zahlreiche Landsleute sind absolut textsicher.
„Fora, Bolsonaro!“ ruft einer in den Raum, „Fora!“ schallt es gleich mehrfach zurück. „Raus!“ Bei der brasilianischen Diaspora ist, jedenfalls hier in der Elbphilharmonie, der Präsident nicht wohlgelitten. Aber nicht seinetwegen sind sie ja alle gekommen, zu einem Konzert (dem zweiten an diesem Abend), das tatsächlich erst nach 22 Uhr beginnt, sondern wegen eines Mannes, auf den sich in Brasilien, diesem riesigen und diversen Land, nahezu alle einigen können, aus welcher Generation, welchem Landesteil, welcher Schicht auch immer: Caetano Veloso, 79 Jahre alt, ist eine Art brasilianischer Nationalheiliger.
Weshalb das Wesentliche ausreicht: Ein Spot, ein heller Holzstuhl, eine Gitarre – und Caetanos Stimme. Die sei ein wenig müde, gesteht er, und seine Hände etwas zittrig, es sind für ihn die ersten beiden Konzerte seit zwei Jahren. Und dann aber füllt diese warme, volle, zärtliche Stimme den Raum; wie eine lang vermisste, ungemein vertraute Umarmung umfängt sie das Publikum und nährt den süßen Sehnsuchtsschmerz Saudade. Nicht bloß ein Konzert ist dieser Abend, sondern eine Begegnung, fast spirituell, zugleich vollkommen selbstverständlich.
Hamburger Elbphilharmonie wirkt plötzlich intim
Wie intim die Elbphilharmonie plötzlich wirkt, wenn zu „Cajuína“, in Text und Rhythmus auch eine Art traurige Verneigung vor dem dunklen Nordosten Brasiliens, ein Paar eng umschlungen vor den Orgelpfeifen tanzt, wenn Caetano (in diesem Fall auf Spanisch) den Mond anruft, wenn das Publikum immer wieder kollektiv und absolut textsicher einsteigt.
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Beim weichen „Branquinha“, das Caetano für seine Frau geschrieben hat, bei „Sampa“, seiner Liebeserklärung an São Paulo, bei den Zugaben „Vocé e linda“ und „A Luz De Tieta“: „Eta, eta, eta, eta...“. Viele stehen auf und tanzen ausgelassen an ihren Plätzen. Caetano „verscheucht die Traurigkeit“, wie es an einer Textstelle (und im Portugiesischen natürlich poetischer) heißt. Was für ein wundervoller, tröstlicher, beseelter Abend.