Hamburg. Das Konzert der Schweizerin war ein 90 Minuten langer Trip durch ihr Album „Halluzinationen“. 700 Fans staunten im Dauerregen.

Sophie Hunger schaut irritiert in das Stadtpark-Rund, als sie am Sonnabend alleine zum Bühnenrand tritt und unverstärkt „Dia Fahrenda“ singt: „Könnt Ihr euch mehr in die Mitte setzen? Das ist besser für das Gruppenfoto“, sagt die Schweizer Sängerin und Ausnahme-Songschreiberin, „natürlich mit Abstand und Anstand“. Unruhe entsteht, als die Fans mit raschelnden Windjacken und Ponchos durch die Reihen hasten und mit dem Ordnungspersonal diskutieren. Hungers einsamer Einstieg und seine fragile Wirkung gehen so leider unter.

Dabei sollte Sophie Hunger eigentlich mit den Hamburger Begebenheiten, mit Sitzplatzverteilungen und Coronaregeln vertraut sein. Erst vor drei Wochen sang sie zusammen mit ihren Schweizer Kollegen Faber und Dino Brandão sowie einem Streichquartett das Programm „Ich liebe dich“ in der Elbphilharmonie. Geschenkt, beim zweiten Lied „There Is Still Pain Left“ sind die 700 Zuschauenden zur Ruhe gekommen, und Hungers über das Griffbrett ihrer Gitarre quietschenden Hände deutlich vernehmbar.

Für jeden Auftritt in Hamburg hat Hunger sich neu erfunden

Sehr oft war die in Bern geborene und über Zürich und Paris in Berlin gelandete Künstlerin in Hamburg, und kein Auftritt glich dem anderen beim Elbjazz, im Mojo Club, auf Kampnagel, in der Elbphilharmonie oder auf dem Dockville Festival. Wie auf ihren sechs Alben zeigt sie auch auf der Bühne beeindruckende Wandlungsfähigkeit bei hoher Kunstfertigkeit. Zwischen den Polen Jazz und Folk der frühen Werke bis zu Electro- und Techno-Einflüssen auf „Molecules“ (2018) entwickelt sie eine eigentümliche, melancholische Anziehungskraft, die auch das Publikum im Stadtpark in den Bann zieht.

Dabei ist das Konzept an diesem Abend nicht von ihren bekannten Liedern wie „Supermoon“ geprägt. Den Schwerpunkt bildet das aktuelle Album „Halluzinationen“ (2020), das Hunger begleitet von Schlagzeug und Klavier und einem fünfköpfigen Chor in einem Zug durchspielt. Keine Ansagen, nur Hungers Wechsel zischen Gitarre, E-Bass und Klavier unterbrechen den Reigen aus neun Liedern. Ein beachtlicher Trip, der beim pumpenden „Alpha Venom“ sogar viele zum Tanzen anregt und am Ende für Standing Ovations sorgt.

Vier Zugaben beenden einen tollen Konzertabend

„Das erinnert mich gerade an Woodstock“, ruft Hunger in den 90 Minuten lang präsenten Dauerregen und präsentiert vier Zugaben: „Silver Lane“, das besonders bejubelte „Le vent nous portera“, „Voyage Sans Bouger“ und „Z’Lied vor Freiheitsstatue“. Das Publikum hätte gern noch mehr gehört. Wenige schaffen es wie Sophie Hunger, die besten Lieder nicht zu spielen und trotzdem zu begeistern. Diese Frau bleibt eine Erscheinung.