Hamburg. „Ecce Home oder: Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ ist ein reizendes Rangfoyer-Solo des Komödianten Samuel Weiss. Leider wenig mehr.
„Ich bin ein Jünger des Philosophen Dionysos!“ ruft der etwas verwahrlost wirkende Herr aus. Aber um ehrlich zu sein, mutet das Umfeld nicht besonders dionysisch an: Er sitzt zwischen Mikrowelle und schmuddeligem Getränkeautomat, futtert verbranntes Toastbrot und patscht auf dem Tablet rum.
Wein, Fruchtbarkeit, Ekstase könnten ferner nicht sein. Darauf einen Schluck Filterkaffee: scheint entsetzlich zu schmecken. Zudem bringt er die Verdauung durcheinander, kurz darauf entleert sich der Protagonist über einem Eimer. Es ist so jämmerlich.
„Ecce Homo" im Hamburger Schauspielhaus
Im Rangfoyer des Schauspielhauses hat Max Pross mit „Ecce Homo oder: Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ einen zweiteiligen Abend über die Umwertung aller Werte inszeniert, pandemiebedingt vor gerade mal acht Zuschauern. Der erste Teil ist geprägt von Friedrich Nietzsches Spätwerk „Ecce Homo“, entstanden 1888 kurz vor dem Zusammenbruch des Autors. Samuel Weiss rezitiert weite Passagen des teils bösartigen, teils scharfsinnigen, teils kaum verständlichen Textes, reizende Überhöhungen des Sprechers, tastende Erkenntnissuche, die er immer wieder in derbsten Slapstick rutschen lässt.
„Warum bin ich so weise?“, das klingt lustig, wenn Weiss kurz darauf den eigenen Penis sprechen lässt, und wenn er das „Missverhältnis zwischen der Größe meiner Aufgabe und der Kleinheit meiner Zeitgenossen“ beklagt, dann ist das vor allem deswegen absurd-genial, weil die Kleinheit des Gezeigten von den Zeitgenossen keineswegs unterschritten wird.
Theater der Selbstentäußerung
Pross also baut eine Fallhöhe auf: Der hohe Ton des Nietzsche-Textes stürzt in ein Spiel, das Nacktheit, körperlichen Zerfall und Ekel zelebriert. Das funktioniert, weil Weiss ein großartiger Komödiant ist, der sich mit Lust auf dieses Theater der Selbstentäußerung einlässt; freilich spürt man auch, wie langweilig das Gezeigte wäre, wenn der Regisseur sich nicht blind auf seinen Darsteller verlassen könnte. Im Grunde nämlich bleiben die Ideen des 70-minütigen Abends überschaubar, das Übermensch-Pathos des Denkers wird mit voller Kraft gegen die Wand des Alltäglichen gefahren, das ist alles. Nicht viel.
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Immerhin, gegen Ende erkennt man dann doch noch eine szenische Vision jenseits der Performance des Schauspielers. Zwei phantasievoll gewandete Gestalten (Tintin Patrone und Martin Muth, ansonsten zuständig für Musik und Bühne) betreten die Szene, Weiss versinkt in sehnsuchtsvoller Billie-Eilish-Karaoke, und die zwei Neuankömmlinge erzeugen dazu gehörgangzerfetzende Störgeräusche. Plötzlich passiert hier also etwas, das mehr ist als eine Solonummer, und vielleicht wäre solch eine kollektive Auseinandersetzung mit Nietzsche ja einen längeren Blick wert.
Solonummer unterhält aufs Hübscheste
Hier jedoch bleibt eine Solonummer, die nicht wirklich irgendwo hinführt, gleichwohl aufs Hübscheste unterhält. Aber tatsächlich ist das Stück noch gar nicht fertig: Im Herbst folgt der zweite Teil, nach „Ich erwarte die Ankunft des Teufels“, einem nicht weniger kontroversen Tagebuchroman der kanadisch-amerikanischen Autorin Mary MacLane.
„Ecce Homo oder: Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ wieder am 8.6., 20 Uhr, 15. und 16.6., 21 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Rangfoyer, Kirchenallee 39, Tickets unter T. 248713