Hamburg. Mit „Song of America: Celebration of Black Music“ bietet das Haus dem zurückgekehrten Live-Publikum eine kuratierte Spezialanfertigung.

Der emotionale Nährwert des Einstimmens wurde in vorpandemischen Zeiten sträflich unterschätzt. Jetzt, nach sieben Monaten ohne leibhaftige Anwesenheit von vielen Menschen vor einer Konzertbühne, ist schon dieses kollektive Justieren als Vorgeschmack und Einstimmung eine kleine Portion reine Musik. Es riecht im Foyer und im Großen Saal wie früher, die Sitze sind wie früher, die Bühne war mit einer Ü50-Orchestergröße der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen schon ganz ordentlich belegt.

Nur der Blick in die (noch) viel zu leeren Ränge war (noch) eher deprimierend. Dafür war der Schlussapplaus ein energischer Ausgleich. „Herzlich willkommen in der Elbphilharmonie, das habe ich jetzt schon länger nicht gesagt“, kommentierte Generalintendant Christoph Lieben-Seutter bei seiner Begrüßung dieses Comeback. „Es ist wichtig, dass Sie sich wieder an den Konzertbesuch gewöhnen.“

Spezialanfertigung in der Elbphilharmonie

Eigentlich ganz erfreulich, dass es für dieses Wiederhochfahren kein massiv besetztes Orchesterkonzert mit Tutti-Getöse und Chor-Massen war und einem Publikumsliebling auf den Notenpulten, sondern eine interessant kuratierte Spezialanfertigung, die es aus ganz anderen Gründen verdient hatte, so deutlich – und so verspätet – im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

Ausschließlich afroamerikanische Komponistinnen und Komponisten, Louise Toppin als Expertin für das Werk von William Grant Still, die einige seiner Arien gleich selbst sang, und der Bariton Thomas Hampson, seit Jahren ausgewiesener Kenner der Materie als „supporting singer“. Keine dröge Seminar-Arbeit, sondern ein erster Eindruck, dem im Laufe dieser Woche Streams folgen.

Weite und Tradition der Musiknation USA

Die ganz eigene Atmosphäre des Abends leitete ein Klangfarben-Panorama ein, in dem viel von der Weite und der Tradition der Musiknation USA mitschwingt: Ganz behutsam zieht Valeria Colemans „Umoja/Anthem for Unity“, 2019 in Philadelphia uraufgeführt, den Vorgang vor dem Versprechen einer besseren, einigeren, vielfältigeren und gleichberechtigteren Welt auf.

Offene, weite, hell gesetzte Harmonien, ein ruhiges Vorsichhinströmen nahm behutsam seinen Lauf, eklektizistisch, sehr unaufdringlich zeitgenössisch. Filmmusik für das All-American-Kopfkino. Roderick Cox dirigierte das mit sehr viel, vielleicht sogar zu viel Respekt und Stolz.

Spielplanraum in Elbphilharmonie: Ansporn und Vorbild

Schon die Orchesterwerke von William Grant Still sind Raritäten, seine acht Opern erst recht. Durch die Entstehungsdaten von „Costaso“ (1950) und „Highway One, USA“ (1962) soll man sich nicht täuschen lassen. Stills Musik ist so süffig schmachtend, als hätten sich Puccini und Korngold für eine Broadway-Produktion zusammengetan und mit einer Prise Broadway-Weill dezent nachgewürzt. Bevor ein Abschnitt mit orchestrierten Spirituals folgte, legte George Walkers „Lyric For Strings“ einige getragene Gedenkminuten ein. Bei „There Is A Balm In Gilead“ waren es Toppin und ihre Sopran-Kollegin Leah Hawkins, deren Stimmen allerschönst harmonierten.

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Was die „New York Times“ 1934 über die Premiere von Willam Levi Dawsons „Negro Folk Symphony“ in der Carnegie Hall befand, hat auch knapp 90 Jahre später noch Bestand: „Diese Musik hat ein Gefühl für Drama und eine unmittelbare melodische Sprache.“ Auch hier standen viele Spirituals Pate, eine weitere nahe Verwandte ist unüberhörbar Dvoraks Neunte. Dawson hat in seiner ersten und einzigen Sinfonie eine sehr andere „Neue Welt“ beschrieben. Dass an einer so prominenten Adresse wie der Elbphilharmonie Spielplanraum gewährt wurde, sollte Ansporn und Vorbild für mehr sein.

Streams: Dieser Mitschnitt und weitere „Celebration of Black Music“-Konzertstreams (2., 4., 6.6., jew. 20 Uhr) unter www.elbphilharmonie.de