Hamburg. Der Dirigent nahm sein Publikum zu Weihnachten mit auf musikalische Entdeckungstour. Nur am Ende wurde es traditionell.

Sicher kann man sich seine klassische Weihnachtsmusik-Beschallung mal eben aus der vollgestopften Ohrwurm-Abteilung organisieren, dann kennt man alles in- und auswendig und es tönt links rein und genau so flott rechts wieder raus. Oder man regelt es, wie es Thomas Hengelbrock am Freitag beim zweiten Konzert dieser Saison mit seinen Balthasar-Neumann-Ensembles in der Laeiszhalle exemplarisch vormachte. Man gibt sich eine Runde Extra-Mühe und sucht gewissenhaft nach anderen, den feineren, leiseren Tönen.

Herbsüßer Streichersatz

Nicht ganz unaufwendig, aber am Ende die dankbarere Methode. Denn wer kennt schon die liebreizend feierlichen, in Tradition eingebackenen Chorsätze, die Pawel G. Tschesnokow schrieb, geschweige Pawel G. Tschesnokow selbst, der etwa eine Generation nach Tschaikowsky geboren wurde? Der war mit einem charmanten, herbsüß nostalgischen Adagio-Streichersatz aus seinen Lehrjahren vertreten, in dem man Späteres erahnen kann.

Und wem außerhalb von russisch-orthodoxen Kirchenmusikliebhaber-Kreisen ist je von César Cui – fünf Jahre jünger als Tschaikowsky - das „Magnificat“ zu Ohren gekommen, in dem sich eine Solo-Stimme und das Chor-Ensemble ablösen, als wäre es Filmmusik für ein hüfttief zugeschneites Zarenzeit-Drama?

Hengelbrock auf Entdeckungstour

Für genau diese Art von Entdeckungen hat Hengelbrock ein sicheres Händchen, und mit seinen Ensembles auch passende Musiker, um sie umzusetzen. Dazu noch so fein aufeinander ausgerichtete Gesangssolisten wie u.a. Agnes Kovacs (Sopran), Roxana Constaninescu (Mezzo) oder Linard Vrielink (Tenor) als Vokal-Lametta auf der gut ausbalancierten Vierstimmigkeit, und man möchte fast wieder ans Christkind glauben.

Die schönste Bescherung, neben diesen Archiv-Ausgrabungen, war allerdings das „Oratorio de Noël“ des Franzosen Camille Saint-Saëns, mit einer ganz anderen Besinnlichkeits-Temperatur versehen. Ganz ohne Pauken und Trompeten, ohnehin komplett ohne Bläser, jauchzte und frohlockte sich dieses Stück so schlicht, feingliedrig und anmutig leicht in Richtung Weihnachten, als fände dieses Fest ausschließlich im sonnigen Spätsommer in der Provence statt.

Bach zum Schluss

Das Notwehr-Örgelchen, das auf der Bühne kleinlaut mitfiepte, weil die Laeiszhallen-Orgel wegen Altersschwäche in den Ruhestand versetzt ist, passte letztlich ganz gut dazu, weil so nichts Schweres die Leichtigkeit dieser Musik überlagerte, wenn die Harfe Soli und Ensembles mit engelchengleichen Tönen verzuckerte.

Nach einer russischen und einer französischen Zugabe endete dieser Abend in der goldenen Mitte, mit dem Choral „Ich steh an Deiner Krippen hier“, weil in diesen Tagen wohl doch kein Weg an Bachs Weihnachtsoratorium als Leitstern vorbei führt.

Nächstes Konzert von und mit Thomas Hengelbrock: „Beethoven-Akademie 1808. 9.2., 18 Uhr, Laeiszhalle, Gr. Saal. Karten (12 bis 78 Euro). www.elbphilharmonie.de