Hamburg. Podcast „Erstklassisch mit Mischke“: Anja Silja über den aufregenden Verlauf ihrer Karriere, für die sie sich mehrmals neu erfand.
Diese Sopranistin war ein Wunderkind. Anja Silja hat mit 20 in Bayreuth debütiert, sie war ein Star in Produktionen von Wieland Wagner, so entstanden 36 Inszenierungen in fünf Jahren. Seit dessen Tod, da war sie 26, ist das Kapitel Wagner und Bayreuth für sie abgeschlossen. Später heiratete sie den Dirigenten Christoph von Dohnányi. Die letzte Phase ihrer Welt-Karriere prägten die großen Charakterrollen, insbesondere die Emilia Marty in Janaceks „Sache Makropoulos“.
Silja hätte jahrzehntelang jeden Grund gehabt, sich als klassische Diva zu inszenieren und damit allen die Nerven zu zersägen. Doch sie war immer das Gegenteil und ist es nach wie vor. Inzwischen ist sie 79 und wohnt in Ahrensburg. Beim Wiedersehen verging die Zeit wie im Flug, weil ihre Erinnerungen das Bild einer klugen singenden Darstellerin ergeben, wie es nach ihr keine mehr gab.
Hamburger Abendblatt: Was haben Sie mit Ihrer ersten Gage gemacht?
Anja Silja Das kann ich Ihnen ganz genau sagen: Ich hab‘ meine Großeltern damit unterhalten. Mein Großvater war mein einziger Gesangslehrer und hatte daher auch keinen Beruf mehr. Ich habe jahrelang das Wohnen und so weiter von meinen Gagen bezahlt.
Und als das vorbei war – welchen Wunsch haben Sie sich mit dem ersten selbst ausgebbaren Geld erfüllt?
Das kam erst mit 19,20. Ich war ein großer Auto-Freak und hatte alle schnellen Autos. Zwischen 1961 und 1967 hatte ich den Jaguar E-Type und die Corvette, ein schickes Auto nach dem anderen, noch ein paar Thunderbirds.
Lohengrin: Elsa ist eine Kratzbürste
Dem „SPIEGEL“ haben Sie 1966 gesagt: „Ich singe nur, um spielen zu können.“ Das fasst Ihre Einstellung zum Beruf der Opernsängerin ganz gut zusammen.
Das Wort „Spielen“ muss man durch „Darstellen“ ersetzen, die Darstellung der Musik, der Phrasierung, des Textes. Das Wort ist für mich mindestens so wichtig wie der Ton. Und es verändert den Ton. Die Tragik vieler Phrasen beinhalten einen nicht nur schönen Klang. Die „Lohengrin“-Elsa wird immer als schön, lyrisch und edel bezeichnet. Das ist die gar nicht. Das ist eine Kratzbürste.
Gab es nie Anfragen von Schauspielregisseuren? Für Sie war Schauspielen Spielen ohne Singen, also letztlich einfacher.
Einfacher ist gut… Große Regisseure sind schon gekommen, unter anderem Kortner, der wollte mit mir etwas machen. Aber das ist eine ganz andere Technik.
In Bayreuth musste ich einfach singen
Sie haben zu Beginn Ihrer Karriere eigentlich alles anders gemacht, als man es sollte, trotzdem sind Sie nie auf die Nase gefallen…
… am Anfang habe ich doch ganz brav Koloraturen gesungen...
… Aber dann kam der Wechsel – gerade eben noch Mozarts Königin der Nacht..
.. und im Jahr drauf das Debüt als Wagners Senta in Bayreuth. Das war ungewöhnlich, auch für Wieland Wagner. Obwohl: Für mich war es nicht ungewöhnlich. Da ich mit Wagner groß geworden bin, war es selbstverständlich, dass ich das in Bayreuth singen muss.
Hatten Sie Glück, waren Sie wahnsinnig blauäugig, oder sogar… „dumm“ ist das falsche Wort. Aber man muss für so etwas schon sehr von sich überzeugt sein.
Das genaue Gegenteil… Ich war überhaupt nicht von mir überzeugt. Die anderen waren von mir überzeugt. Von mir aus hätte ich diesen Sprung nie gewagt. Ich hatte aber auch die fundierteste Gesangsausbildung, die man sich denken kann, vom sechsten bis zum 21. Lebensjahr, ununterbrochen, jeden Tag.
400-mal die Salome
Sänger, die heute erste Karriererunden drehen, sind also zu schlecht ausgebildet?
Sie dürfen nicht einem Agenten vertrauen, der will sie ja für gewisse Rollen verkaufen. Aber natürlich muss man Vertrauen haben in die Leute, die um einen sind. Bei mir waren das mein Großvater, Wieland Wagner, Christoph von Dohnányi… sie hatten wirklich einen großen Einfluss, auch intellektuell mit den Rollen umzugehen.
Ihre erste Isolde mit 21, die erste Elektra war mit 23, in der Zeit war auch die erste Brünnhilde… Alles Partien, für die Sängerinnen heutzutage jahrzehntelang Anlauf nehmen. Und sie sagten nur: Ich sing das jetzt.
Wieland hat gesagt: Das machst Du, das kannst Du. Das hab‘ ich dann auch gekonnt. Was soll ich dazu sagen? Ich hab‘ sie mir nicht ausgesucht.
.. und 400 Mal die Salome. Wahnsinn.
Das kam auch, weil ich nach Wielands Tod die ganzen Wagner-Sachen nicht mehr singen wollte.
Wie Pippi Langstrumpf: Ich konnte alles
Es gibt ein Foto von Ihnen als Salome, bauchfrei mit Leggins, die Schüssel mit dem Kopf von Johannes. Cool wie ein Bond-Girl. Haben Sie sich damals als Feministin gefühlt, in einem Rollenbild unterwegs, das bei manchen für mehr als Stirnrunzeln sorgte?
Das war sicher so, mit dem Minirock... Aber ich kann nicht sagen, dass ich mich als Feministin gefühlt habe. Ich bin so geboren und so erzogen worden, dass ich wie Pippi Langstrumpf alles konnte.
Ihre Zeit war eine Zeit, in der Dirigenten, die Maestro mit ganz großem M schrieben, es nicht unbedingt gewohnt waren, sich Widerworte von Sängerinnen anzuhören.
Ich hab‘ mich immer dem gefügt, was ein wirklich großer Dirigent zu sagen hatte.
Placido Domingo? Das haben wir seit 50 Jahren...
Sie kennen die Debatte um die Belästigungs-Vorwürfe an Plácido Domingo. Sind das Einzelfälle oder typische Vorgänge für diese Branche Oper und ihre Machtstrukturen?
Es ist nichts Neues, das haben wir seit 50 Jahren gehabt. Es war gang und gäbe und Dirigenten wurden sehr hofiert. Aber man kann ja nein sagen. Viele Dirigenten haben gesagt: Dann eben nicht, dann machen wir jetzt eben Musik. Vieles war freiwillig. Und vieles konnte man als Frau verhindern. Uns allen ist das passiert. Es gab Kolleginnen, die fragten: Hattest Du jetzt auch gerade eine Hand auf Deinem Knie? Es war immer so. Man konnte damit umgehen und es auch ins Lächerliche ziehen. Die Gefahr bestand zwar, dann nicht mehr engagiert zu werden. Aber den Mut musste man haben, um zu sagen: Nach mir die Sintflut, das ist mir jetzt egal.
Buch: Anja Silja „Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren“ (Parthas, 311 S., 39,90 Euro)