Hamburg. Beim Auftritt mit der Kammerphilharmonie Bremen war nicht der Alleingang-Virtuose, sondern vielmehr der Teamplayer gefragt.

Auf die Bühne der Elbphilharmonie kommen und dort geduldig, aber dennoch unter Hochspannung abwarten, bis man eigenhändig dran ist? Diese Standard-Situation für Klavierkonzerte hatte der Pianist Igor Levit bei seinen vier Beethoven-Sonaten-Abenden nun wirklich nicht zu bewältigen. Da war voller Solo-Einsatz angesagt, aus dem Stand von 0 auf 100.

Doch beim Auftritt mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen am Mittwoch war eindeutig nicht der Alleingang-Virtuose, sondern der Teamplayer gefragt. Der mitfühlende, vorausschauende, mitspielende und dennoch frei fantasieren könnende Pianist als Teil eines Ganzen. Der Charakter-Darsteller, der sich im 1. Klavierkonzert von Brahms als Mit-Gestalter ins Orchestergewebe einordnen mag, ohne sich deswegen den Sachzwängen unterzuordnen zu müssen.

Interessanter Perspektivwechsel, auch weg von der strukturellen Durchhörbarkeitspflicht bei Beethovens klassischem Themen-Mikado, hin zum viel kompakteren harmonischen Denken, das Brahms’ opulent spätromantische Musik mit sich bringt.

Igor Levit spielt Brahms: Manche Passagen verliefen sich im Pedaldunst

Den Kopfsatz seines d-Moll-Konzerts hat Brahms aus gutem Grund mit Maestoso überschrieben: Im Zweifelsfall fürs Schwere, aber nicht Massive, für einen Tonfall, der tief geerdet sein sollte, ohne zu verklumpen. Das allerdings war eine Gratwanderung, die Levit nicht immer gelang. Während er einerseits energisch und vehement das erste, schroffe Thema im Kopfsatz in die Tastatur stanzte, verliefen sich die lyrischen, elegischen, rhapsodischen Passagen, in denen Brahms’ Grübeleien zur Ruhe kamen, im verhüllenden Pedaldunst.

Und da Levit in den aufbrausenden Momenten, in denen Brahms mit wenigen Akkordfolgen die Stimmung ändern konnte, gern abrupt die Spur wechselte, ergab sich nicht das Gesamtbild einer in sich ruhenden Interpretation. Eher eine Aneinanderreihung unterschiedlicher, unterschiedlich starker Momente und Perspektiven, die genau um deren jeweilige Szenenwirkungen weiß.

Die elegische Träumerei im Mittelsatz, in dem Levit den Klaviersatz wie eine Improvisation aufblätterte, die allerdings war anrührend dahingezaubert, bevor das Rondo mit seinen Kadenzen und Temperamentsdurchbrüchen wieder den vollen Virtuosenmuskeleinsatz forderte. Und bekam.

Sehr schön, das alles, aber in Summe noch nicht ideal, weil die einende, verbindende Grundgelassenheit fehlte. Dass diese Episoden sich dennoch zueinander fügten, lag sehr am delikaten Umgang des Orchesters mit seiner tragenden Rolle. Paavo Järvis Brahms-Verständnis, scharf geschnitten, ist dessen Zeit einen Schritt voraus. Noble Klangschönheit als Selbstzweck zu sehen, so denkt und dirigiert Järvi Spätromantik eben nicht. Lieber eine kleine Spitze gegen die Gemütlichkeit zu viel als ständig Plüsch und Pomp und breiter Pinsel.

Kammerphilharmoniker kennen die Tücken des Großen Saals

Die Bremer Kammerphilharmoniker sind zu klug und zu gut, um sich danach bei Haydns vorletzter Sinfonie nur noch mit Pflichtstück-Abarbeitung in der zweiten Konzerthälfte zu begnügen. Und sie kennen aus ihren etlichen Terminen dort den Großen Saal der Elbphilharmonie mit all seinen Tücken und Chancen bestens. Nr. 103, die mit dem berühmten Paukenwirbel (hier weit mehr, ein Solo von Jonas Krause mit allem Drum und Dran), nutzte Järvi dann auch vor allem als Gelegenheit, um ein mitreißendes Plädoyer für Haydns perfekt gebaute Musik zu halten.

Da saß bis ins launig servierte Finale jeder Akzent straff und knackig, alles passte, wackelte nicht und hatte so gerade eben genug Luft zum Wirken. Die gut austarierten Bläsergrüppchen spielten wie aus einem Guss mit den vielen aparten Details. Einen besonderen Szenenapplaus hätte das Solo von Konzertmeister Daniel Sepec verdient gehabt, der im Andante ein Glanzlichtchen setzte.

Am Ende gab es doch noch Beethoven

Als Zugabe und musikhistorisch clever gewählte Abschlusslektion spendierte Järvi noch den Finalsatz der Ersten von Beethoven; schließlich steht das riesige Komponisten-Jubiläum 2020 vor der Tür und der Bremer Sinfonien-Zyklus gehörte zu den spannendsten Beethoven-Neusichtungen der letzten Jahre.

Sehr kurz nach Haydns 103. komponiert, belegte diese Beethoven-Kostprobe außerdem, dass das junge Genie seine Hausaufgaben für den Unterricht beim alten Pointen-Fuchs Haydn sehr gründlich gemacht hatte. Mit viel Humor zwirbelte Järvi aus dem Eingangsthema – der sich langsam, Ton für Ton nach oben ins Tutti hineinschleichenden Tonleiter – einen Auftakt-Gedanken heraus, der sofort Lust auf mehr in dieser Qualität und mit dieser frischen Unmittelbarkeit machte. Danach schnurrte das Allegro flott und fein dem Schlussapplaus entgegen.

Doku / CDs: „The Brahms Code“ DKpB, Paavo Järvi (DVD / BluRay,C Major, ca. 26 Euro) / „Beethoven: The Symphonies“ DKpB, Paavo Järvi (RCA, 5 CDs, ca. 28 Euro)