Hamburg. Francesco Tristano huldigt am Flügel in der Elbphilharmonie der japanischen Hauptstadt – mit Geishas und Romantik-Kitschfalle.
Tokyo. Das ist der Inbegriff moderner Urbanität. Manches kann man nur hier erleben. Zum Beispiel über die berühmte Zebrastreifen-Kreuzung im Amüsierviertel Shibuya gehen – gelegentlich mit bis zu 15.000 Menschen gleichzeitig. Nun blitzt die Stadt ausschnitthaft in den projizierten Schwarz-Weiß-Fotografien von Ryuya Amao auf großer Leinwand auf, davor zeichnet sich die schmale Silhouette von Francesco Tristano am Flügel ab. Ganz in Schwarz und im Dunkeln sitzt er da und schlägt vor dem ausverkauften Kleinen Saal der Elbphilharmonie „Neon City“ an.
Die Musik ist immer noch Klassik, in seiner Motivik mitunter gar dem Barock huldigend, dann wieder in synkopischer Polyrhythmik und auch mal in harten Club-Beats schwelgend. Der Pianist, Komponist und Produzent verbindet all das zu „Tokyo Stories“. Tristano, so enthüllt er selbst, ist Tokyo-Liebhaber seit vielen Jahren. Das aktuelle Album, das den gleichen Namen trägt wie der Abend, ist ein Dokument dieser Verehrung. Musik für anspruchsvolle Kosmopoliten.
Musik mit kubanischen Rhythmen
Tristanos Musik gehört sicher in die vielgeschmähte Schublade des Crossover, den er jedoch auf eine neue Stufe hebt. Ihm gelingen sehnsuchtsvolle, euphorisierende Melodien, auch mal kontemplative. Etwa das jazzig federnde „The Third Bridge at Nakameguro“. Oder das in satten Akkorden schwelgende „Electric Mirror“, das Motive aus Rameaus „Castor Pollux“ mit kubanischen Rhythmen vermählt. Zwischendurch tappt er mit „Yogogi reset“ auch mal zu Kirschblütenaufnahmen in die Romantik-Kitschfalle. Dann werden die Melodien beliebig und so unscharf wie die Fotos.
Einen Song später ist das vergessen und er legt schon wieder eine flirrend kreiselnde Jazz-Melodie über scheppernde Beats. Am überzeugendsten gelingt ihm das unter Mitwirkung seines DJ-Freundes Hiroshi Watanabe in „Bokeh Tommorow“. Lässig wechselt Tristano zwischen klassischem Piano und Synthesizer, zwischendurch greift er auch mal beherzt für einen Effekt in das Innere seines Instruments.
Der Besucher lässt sich hypnotisieren von Bildern und Klängen und träumt sich hinweg in ferne Welten im Land der aufgehenden Sonne. In den Projektionen bleiben die Menschen, mal Geishas am Zebrastreifen, mal rückwärtige Ansichten auf Rolltreppen, lange seltsam gesichtslos. Bis zu dem euphorischen „Akasaka Interlude“ ein junges Paar durch die Straßen tanzt und auch diese faszinierende Stadt in der Verbindung mit den empfindsamen Klängen Tristanos ein wohltuend menschliches Gesicht erhält.
Debüt im Großen Saal
Schon am 21. November gibt der vielseitige Tristano mit dem Orchestre Philharmonique de Strasbourg sein Debüt im Großen Saal. Mit Glück gibt es noch Restkarten an der Abendkasse.