Hamburg. Juri Gilbo und seine Russische Kammerphilharmonie verkennen im Großen Saal das Potenzial des zornigen Revolutionärs.
Für einen reinen Titan wie Ludwig van Beethoven ist in einem einzigen Jahr einfach nicht genug Platz. Deshalb feiern viele Künstler das 2020 anstehende Jubiläum jetzt schon mal vor.
Juri Gilbo und seine Russische Kammerphilharmonie St. Petersburg brachten dafür die Eroica-Sinfonie und die Schauspielmusik zu Egmont in den Großen Saal der Elbphilharmonie – konnten aber erst in der zweiten Hälfte ansatzweise andeuten, weshalb der Geist Beethovens auch knapp 250 Jahre nach seiner Geburt noch weiter lebt.
Orchester verharrt im Musikbeamtenmodus
Von der unbändigen Kraft des Komponisten war zunächst jedenfalls kaum etwas zu spüren. Obwohl sich Gilbo mächtig ins Zeug legte und manche Akzente der Eroica mit geballten Fäusten in die Luft boxte, absolvierten die meisten Orchestermitglieder die Aufführung auch körpersprachlich im Musikbeamtenmodus. Solide, weitgehend zuverlässig und leidenschaftsarm.
Dank der schlanken Besetzung klang die Sinfonie zwar klar und transparent – und offenbarte dadurch auch Probleme im Feintuning des Orchesters –, aber das war’s dann auch. Packende Spannungsbögen? Kantige Kontraste, von denen der Hörer durchgerüttelt wird? Fehlanzeige. Beethoven, der zornige Revolutionär, wurde zum dezent aufmüpfigen Musterschüler verlangweilt. Selbst der Schmerzensakkord im zweiten Satz wirkte eher lau. Keine Spur von der titanischen Wucht, mit der Beethoven die gewohnten Sinfoniemuster sprengt.
Diese Konzertkritiken könnten Sie auch interessieren:
- Rocko Schamoni im Schauspielhaus: Kaum zu ertragendes Gewieher der Fans
- Elbphilharmonie: Blinder Pianist brilliert mit Liszt-Konzert
- Warum Michael Bublé in der Barclaycard-Arena "völlig fertig" war
Ulrich Tukur rezitiert plastisch und virtuos
Erst nach der Pause roch man die Lunte, die der Komponist an die klassischen Formen legt. In der Egmont-Ouvertüre zündete Gilbo mit der Kammerphilharmonie tatsächlich ein paar musikalische Explosionen.
Als Einleitung zum Trauerspiel nach Goethe, dessen Deklamationstext Ulrich Tukur wunderbar plastisch und virtuos rezitierte. Mit fein nuancierten Stimmmodulationen und Lust am Temperament, erzählte er vom Schicksal des Freiheitskämpfers Graf Egmont und seiner Geliebten Klärchen, deren Lieder die Sopranistin Nora Friedrichs mit schlankem Timbre, aber wenig Sprachkonturen sang.
Insgesamt hatte die zweite Hälfte etwas mehr Dampf und Energie – doch es war vielleicht kein Zufall, dass die sanfte Schlummermusik ("Süßer Schlaf") kurz vor Schluss zu den musikalischen Höhepunkten eines eher unterwältigenden Abends gehörte.
Konzerttipp: Ulrich Tukur live mit den Rhythmus Boys, Mo 16.12., 20.00, Stage Operettenhaus, Spielbudenplatz 1, Karten zu 50,50 bis 78 Euro unter anderem in der Hamburger-Abendblatt-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18-32) und unter T. 30 30 98 98