Hamburg. Philharmonisches Staatsorchester begeistert mit Mahlers Fünfter. Zuvor hatte der blinde Pianist Nobuyuki Tsujii für Aufsehen gesorgt.
Es hatte etwas Väterliches, wie Kent Nagano den Pianisten Nobuyuki Tsujii unterhakte und behutsam auf die Bühne der Elbphilharmonie führte. Der 31-jährige Japaner ist von Geburt an blind und deshalb beim Gehen auf etwas Unterstützung angewiesen. Sofort schießen einem Fragen in den Kopf. Wie kriegt er das wohl hin, die Tasten so präzise zu treffen, wenn er sie gar nicht sehen kann? Den Notentext zu lernen? Dem Dirigenten zu folgen?
Aber so eine gedankliche Sonderbehandlung hat Tsujii gar nicht nötig. Sobald er am Flügel sitzt, rückt das Handicap in den Hintergrund. Denn er ist einfach ein hervorragender Pianist, ausgestattet mit einer brillanten Technik, die seine Finger und die Tastatur zu einer selbstverständlichen Partnerschaft verwachsen lässt, und mit einem außergewöhnlichen Gehör.
Nobuyuki Tsujii findet viele Klangschattierungen
Schon im Alter von nur acht Monaten soll der gebürtige Tokyoter auf verschiedene Interpretationen desselben Klavierstücks unterschiedlich reagiert haben; 30 Jahre später findet er im ersten Klavierkonzert von Liszt viele Klangschattierungen, vom kraftvollen Forte in den majestätisch aufragenden Akkordtürmen bis zur süßen Träumerei. Auch ohne Blickkontakt hält Tsujii einen engen Draht zu Nagano und dem Philharmonischen Staatsorchester. Im Finale schmiegt er den Sound des hohen Klavierregisters so geschickt an die ersten Geigen an, dass daraus ein neuer Farbton entsteht.
Ein starkes Debüt. Das wurde allerdings im Nachhinein – ebenso wie der Auftakt mit Beethovens Egmont-Ouvertüre – noch in den Schatten gestellt. Weil Nagano und sein Orchester nach der Pause Mahlers Fünfte in den Saal wuchteten, einen sinfonischen Koloss, der alles andere an die Seite drängt. Nagano belebte das mächtige Stück, indem er die musikalischen Charaktere plastisch modellierte und gegeneinander absetzte: Die zerklüfteten und die verhangenen Momente im einleitenden Trauermarsch. Die wild aufschießende Aggressivität und den Choral im zweiten Satz.
Extraapplaus in der Elbphilharmonie
Und das Saitenkosen der Streicher im Adagietto, das sich zärtlich in die Ohren schlich, bevor der Dirigent seine Philharmoniker in den Taumel des Finales und zum verdienten Jubel lenkte – mit einem Extraapplaus für die famosen Orchestersoli in Horn und Trompete.