Hamburg. Herb Gardners Komödie „Ich bin nicht Rappaport“ über Alte auf dem Abstellgleis hat Längen – trotz eines Peter Bause in Bestform.
Ein alter Mann wühlt in einem Papierkorb nach Verwertbarem. Flaschen scheppern in seinem Umhängebeutel. Derartiges ist auch in unserem Alltag zu beobachten – wenn man denn genauer hinschaut. Reiches Hamburg, armes Hamburg. Die Kammerspiele in Rotherbaum versetzen die Besucher in diesem Herbst in den Central Park in New York. Dort spielt „Ich bin nicht Rappaport“. Ein Stück, das der New Yorker Herb Gardner 1985 für den Broadway schrieb. Eine Komödie, mit der die legendären Will Quadflieg und Kurt Meisel vor drei Jahrzehnten im Spätherbst ihrer Karriere am Thalia Theater Triumphe feierten; auch Peter Striebeck und Ralf Schermuly gefielen 15 Jahre darauf am Ernst Deutsch Theater mit Witz und Verve.
Lügen? Bei Nat „strukturelle Anpassung“
Wie zeitlos und gleichzeitig aktuell „Ich bin nicht Rappaport“ ist, wollen nun die Kammerspiele zeigen. Der erwähnte Müllsucher mit Namen Midge ist wie Nat einer der beiden Protagonisten. Sie fragen zwar nach Rappaport, stehen indes selbst im Zentrum: zwei alte Männer auf dem Abstellgleis in der (Dienst-)Leistungsgesellschaft. Täglich streiten sie um einen Platz auf der Bank im Park.
Pierre Sanoussi-Bliss spielt Midge, einen Schwarzen von mehr als 70 Jahren mit Sehschwäche, der sich als Hausmeister eines Wohnblocks verdingt und – obwohl Ex-Boxer – das Kämpfen um seine Belange verlernt zu haben scheint. Demgegenüber Nat, ein - ja was ist er bloß? In jedem Fall eine Art „Mister multipel“, der auch mit über 80 auf jede Herausforderung neue Antworten weiß, indem er sich dreister Lügen bedient – Nat nennt es „strukturelle Anpassung“...
New Yorks Antwort auf den Baron von Münchhausen
Peter Bause, für seine Rolle im Drama „Place of Birth“: Bergen Belsen“ 2017 mit dem Theaterpreis Hamburg ausgezeichnet, erweist sich hier als bärbeißiger Vollblutkomödiant. Voller Vorfreude erwartet man seine immer neuen Storys. Etwa wenn er seinen Parkbank-Partner Midge beim Treffen mit dem Chef der Eigentümer-Versammlung (Stephan Möller-Titel) beispringt, weil Midges Job wegrationalisiert werden soll. „Keine Angst, solche Boden-Spekulanten fresse ich zum Frühstück“, sagt Nat, schlüpft zu Midges Schrecken sogleich in die Rolle eines Rechtsanwalts und droht mit Protesten der Senioren-Organisation „Unmut“.
Dieser Nat – das ist bei Bause New Yorks Antwort auf den deutschen Baron von Münchhausen, jedoch ohne Titel. Stattdessen mit dem sympathischen Helfer-Gehabe eines Alt-Linken. Bause trägt so zu großen Teilen dieses Stück, das mehr Schwächen hat als die Hauptdarsteller. Als Sozialstudie über Altersarmut taugt es nur bedingt.
Regisseur Sewan Latchinian hätte mehr straffen können
Bei Auseinandersetzungen mit den Jüngeren holt sich das seltsame Paar wider Willen im Park blutige Nasen, muckt auf, raucht auch mal einen Joint, macht schmerzhafte Erfahrungen, körperlich wie seelisch, kämpft doch bis zuletzt. Kammerspiele-Leiter Sewan Latchinian hätte als Regisseur dieses mehr als zweieinhalbstündigen Abends noch mehr Hand anlegen können. So zieht sich der zweite Teil, in dem Andrea Lüdke als Nats Tochter Clara ebenso Mühe hat, an Dad Nat heranzukommen, wie Daniela Dalvai als geschmeidiges Junkie-Mädchen wieder aus dem Papierkorb heraus.
Die Nebenfiguren sind hier nur Beiwerk, die meisten eingebauten Musik-Einlagen des versierten Multi-Instrumentalisten und Sängers Möller-Titel verzichtbar. Stimmiger da schon das moderne Bühnenbild von Maria Frenzel.
„Ich bin nicht Rappaport“ wieder Sa 26.10., 20.00, bis 30.11., Kammerspiele, Hartungstr. 9-11, Karten 22,- bis 44,-: T. 413 34 40