Hamburg. Als Intendant des Altonaer Theaters feiert Axel Schneider 25. Jubiläum. Im Interview blickt der Theatermacher zurück und nach vorn.

Jahrelang fuhr Axel Schneider fast täglich von seinem Wohnort in Ottensen nach Rotherbaum zu den Kammerspielen, „22 Minuten mit dem Fahrrad und im grünen Ampel-Rhythmus“, sagt er. An der Hartungstraße hatte der Theatermacher sein Hauptbüro. Seit einigen Wochen steht es in Altona, und die Fahrt zur Arbeit, weiterhin per Fahrrad, dauert nur noch fünf bis sechs Minuten, für Schneider „gewonnene Lebenszeit“. Als Intendant des Altonaer Theaters geht der heute 52-Jährige am Wochenende in seine 25. Spielzeit. „Herzlich willkommen“ heißt die von ihm inszenierte Premiere, zugleich Teil vier und Abschluss des Walter-Kempowski-Zyklus. Außer dem Altonaer Theater und den Kammerspielen, die mit Sewan Latchinian fortan einen künstlerischen Leiter haben, führt Schneider in Hamburg das Harburger Theater und das Haus im Park in Bergedorf. Und das ist längst nicht alles: Im Abendblatt-Interview kündigt Schneider, seit 2012 in seiner Heimatstadt auch Leiter der bundesweiten Privattheatertage, ein neues Engagement außerhalb Hamburgs an – er wird Leiter der Festspiele Heppenheim.

Herr Schneider, im Eiskunstlauf gilt der vierfache Axel als Höchstschwierigkeit. Sie praktizieren ihn als Leiter von vier Bühnen in Hamburg seit fast 15 Jahren. Wie geht das?

Axel Schneider Auf dem Eis würde mir das jedenfalls nicht gelingen. Dass ich in Hamburg mit der Leitung von vier Theatern nicht gescheitert bin, hat ganz viel mit den tollen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu tun. Hier in Altona gibt es allerdings niemanden mehr aus der ersten Stunde, auch wenn mein ehemaliger Geschäftsführer Dietrich Wersich als Berater wieder eingestiegen ist. Damals haben wir zusammen die Stäitsch Theaterbetriebs GmbH gegründet, inzwischen bin ich alleiniger Gesellschafter. Auch wenn mir früher manchmal „Größenwahn“ unterstellt wurde, weil ja noch ein paar externe Unternehmungen dazukamen, waren diese vielen Unternehmungen aber nicht selten auch dem Streben nach Synergie-Effekten geschuldet.

Den Begriff „Synergien“ benutzen Sie gern und häufig. Wie wichtig ist der in den vergangenen 25 Jahren geworden?

Ich habe schon immer Projekte gemocht, das Erfinden von Neuem neben dem Stammhaus in besonderen Konstellationen und Räumen. Wir haben ja hier in Altona lange das jetzige Café Oelsner als Foyer-Theater bespielt, im Planetarium, bei Universum Box-Promotion und in der Ritze, aber auch in der M&M Bar des Reichshofs Projekte realisiert. Für die Oliver-Bukowski-Serie, in der wir viele Ur- und Erstaufführungen produziert haben, bekamen wir 2000 sogar den Boy-Gobert-Preis. Durch diese neuen Kon­stellationen konnte ich immer meine Neugier am Theater frisch halten. Dann kamen die anderen Theater dazu. 2003 erst das Harburger Theater, dann die Kammerspiele und 2005 das Theater Haus im Park. Zuvor hatte ich schon ein Angebot für das Theater im Zimmer – das weiß ja heute kaum noch jemand. Als Gerda Gmelin aufhörte, hatten wir einen Vertrag per Handschlag mit der damaligen Kultursenatorin Christina Weiss gemacht. Der ist aus Gründen, für die wir nichts konnten, wieder kassiert worden. Im Nachhinein wohl gut so, denn wenn ich das Theater im Zimmer bekommen hätte, hätte ich die anderen Theater wohl nicht auch noch bekommen.

Außerhalb Hamburgs haben Sie bis zu diesem Sommer sechs Jahre lang die Burgfestspiele Jagsthausen in Baden-Württemberg geleitet. Was kommt danach?

Heppenheim in Südhessen mit deren Festspielen. Dort habe ich auch schon in den 1990ern inszeniert. Die Gesellschaft dort steckte in Schwierigkeiten, sodass wir schon jetzt zu 100 Prozent den Spielplan mit unseren Theatern bestreiten. Von 2021 an werden wir mit unserer Gesellschaft die Festspiele Heppenheim weiterführen. Ab Sommer 2021 bin ich dann Leiter der Festspiele, erst einmal für zehn Jahre.

Also wieder neue Synergie-Effekte?

Dass solche Synergien wegfallen, kann ich mir nicht leisten. Ein Teil meiner Arbeit ist dieses Netzwerken, damit nicht die finanzielle Belastung zu 100 Prozent auf den Hamburger Stammhäusern liegt. Weil wir, und das ist jetzt kein Jammern, seit 1995 chronisch unterfinanziert sind. 1994 sind die Subventionen eingespart worden. Wir haben historisch gesehen zwar aufgeholt, sind aber nicht wieder in den gleichen Bezuschussungsradius gekommen, wie ihn andere große Privattheater Hamburgs haben. Mein Vorgänger Hans Fitze hatte 3,5 Millionen D-Mark, wir hatten 150.000 Mark. Selbst wenn wir jetzt mit allen vier Theatern 2,374 Millionen Euro erhalten, bekommen wir nach wie vor vergleichsweise weniger als andere große Privattheater. Selbst nach 25 Jahren sind wir mit dem Altonaer Theater noch immer nicht auf dem Subventionsstatus, den das Haus mal hatte.

War es im Rückblick naiv, dass Sie 1995 auf das Angebot der Kulturbehörde eingingen, das frei gewordene Haus zu übernehmen?

Ich war damals beim Magazin-Theater in Berlin und inszenierte in Hamburg noch mit meiner freien Gruppe. Ich saß beim damaligen Referenten Hans Heinrich Bethge, dem heutigen Senatsdirektor der Kulturbehörde, und er sagte mir: „Wir wollen Altona ausschreiben“, und fragte mich: „Was würden Sie denn mit dem Theater machen?“

Eine Fangfrage?

Ich habe ihm fünf Minuten lang erzählt, was ich damit machen würde. Das entsprach dem, was wir auch in Berlin machten, zudem wollte ich den Spagat zum älteren Publikum schaffen, mit „Amphitryon“ zur Eröffnung etwa. Aber in Altona war selbst die Abo-Kartei weg, die hatte Rolf Mares, der Intendant der Komödie Winterhuder Fährhaus, gekauft. Hier gab es praktisch nichts mehr. Am Ende hatten wir noch 350 Abonnenten von den einst gut 6000, die noch mal zurückkamen, nur weil wir noch Altonaer Theater hießen.

Worin liegen in Altona die Hauptunterschiede zwischen damals und heute?

Anfangs waren wir alles Freunde, die Theater machen wollten. Das hatte sich aus der freien Theatergruppe gespeist. Als wir reinkamen, gab es nur einen roten Vorhang und ein altes Ton-Mischpult, das wir sofort verschrottet haben, weil es nur Platz wegnahm. Ich saß als absoluter Nichtraucher im ehemaligen Konversationszimmer, sprich Raucherraum. Und wir hatten noch einen anderen Raum, in dem acht Mitarbeiter reihum an drei Schreibtischen gearbeitet haben. Zum Glück war unsere „Parzival“-Inszenierung mit Thure Riefenstein, heute ja ein bekannter Fernsehdarsteller, super besucht. Ich schrieb dafür die Textfassung und führte auch Regie – das war eigentlich unsere erste Literatur­adaption. Wegen der Anfangsbelastung hatte ich zur sogenannten Leseprobe erst die Hälfte des Stückes fertig! Die Begeisterungsfähigkeit, diese Leidenschaft, zur Not aus dem Nichts etwas zu machen, ist geblieben. Mit Staatstheatern lässt sich das nicht vergleichen, aber auf Privattheaterebene arbeiten wir heute hochprofessionell. Das kann ich auch deshalb sagen, weil ich merke, wie begeistert die anderen Privattheater sind, wenn sie alljährlich im Juni zu uns zu den Privattheatertagen kommen.

Geblieben ist der inszenierende Intendant Axel Schneider. Insofern haben sich Ihre Arbeitsschwerpunkte doch kaum verändert?

Die Schwerpunkte schon. Am Anfang hab ich unheimlich viel inszeniert, schon deshalb, weil ich mein günstigster Regisseur bin. Und auch weil ich, so denke ich, handwerklich sehr zuverlässig bin. Man kann ja über eine Interpretation kommen, die kann dann wegrutschen. Das kann mir natürlich auch mal passieren. Aber dann hat man ja auch Stücke, für die man jemanden braucht, der das auf jeden Fall schon solide hinkriegt. Bei der „Feuerzangenbowle“, die bei uns seit mehr als 22 Jahren läuft, bin ich froh, dass ich das selber gemacht habe. Da weiß ich, das funktioniert – auch wenn es sich etwas vermessen anhört. Und bei anderen Regisseuren riskiert man, dass sie mehr über das Konzept kommen. Das braucht man auch. So wie ich selbst bei der großen Kempowski-Saga: Einen
Bogen zu erfinden, der sich über vier Stücke erstreckt, das sind Dinge, die ich ganz gut kann, glaube ich. Als gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann hätte ich auch in die Firma meines Vaters gehen können, da hätte ich mit Sicherheit mehr verdient, das hat er mir zwischendurch auch mal ganz deutlich gesagt. Ich habe keine zehn Sekunden gebraucht, ihm zu sagen: „Nee, ich will ins Theater.“ Mir ging es nie um persönliche Vorteile. Ich sehe mich eigentlich als Regisseur – dass ich Intendant geworden bin, war eher ein Zufall. Dass ich das auch kann, musste ich auch erst herausfinden. Die Doppel-Begabung, eine künstlerische Ader zu haben und kaufmännisch unterwegs zu sein, gibt es ja auch nicht so oft.

War Ihnen das schon bei der ungeplanten Übernahme 1995 in Altona klar?

Ja, ich bin in diesem Beruf, weil ich künstlerisch arbeiten und Projekte möglich machen möchte, weil ich wahnsinnig gern mit Schauspielern arbeite, deren Können ich sehr bewundere. Ich bin nicht in diesem Beruf, weil ich ein Theater leiten kann.

Am 20. Oktober werden Sie mit dem Barbara-Kisseler-Theaterpreis 2019 im Altonaer Theater geehrt. Eine Auszeichnung für Sie persönlich, fürs Haus oder doch für alle Ihre Hamburger Bühnen?

Letzteres auf keinen Fall. Beim Altonaer Theater haben wir ganz am Anfang überlegt, ob wir es umbenennen in „Kleist-Theater“. Wir haben uns dagegenentschieden, es hat ja seinen Standort hier im Hamburger Westen. Und dieser
Westen hatte damals schon 250.000 Einwohner. Viele haben lange gebraucht, um das Altonaer Theater auf ihrer Landkarte zu manifestieren. Es hatte einen derart verstauben Ruf, doch im dritten Jahr haben wir es mit „Die Feuerzangenbowle“ und „Cyrano de Bergerac“ gleich zweimal auf die Titelseite des Abendblatts geschafft. Der Barbara-Kisseler-Preis freut mich daher auch so besonders, weil er ausdrücklich für eine Saisonleistung gerade dieses Theaters mit dieser Vergangenheit ist. Persönlich freue ich mich, dass dadurch auch die Kempowski-Arbeit gewürdigt wird. Es wurde ja auch auf die Risikobereitschaft hingewiesen, als Privattheater solch einen Zyklus zu machen. Wenn der gescheitert wäre, hätten wir wirklich viel verlieren können.

Wo sehen Sie das Altonaer Theater in fünf Jahren, insbesondere in Abgrenzung zu den Kammerspielen?

Seit 2005 spielen wir unter dem Motto „Wir spielen Bücher“. Ich könnte keine Wette eingehen, ob wir das in fünf Jahren auch noch tun, gehe aber davon aus. Weil es programmatisch so gut läuft und sich auch im Publikumsbewusstsein manifestiert hat. Es ist ein Motto, das uns gar nicht so einengt, wie man denken könnte. In Altona ist das Prinzip, Stücke selber zu erfinden, also sie zu adaptieren. Wichtig: Ich habe ja nicht vier Theater, weil ich alles über einen Kamm scheren wollte. Im Harburger Theater müssen Sie ein anderes Programm machen, obwohl Sie aus dem eigenen Portfolio schöpfen. Es ist ein Abo-Theater mit 1300 Abonnenten. Altona müssen Sie ganz anders erfinden, immer wieder auch Projekte kreieren. Die Kammerspiele können aus dem Fundus vorhandener neuer oder auch älterer Stücke schöpfen, allerdings klein und entsprechend interessant besetzt. Und im Haus im Park haben wir 28 verschiedene Titel am Start, oft Produktionen oder Comedians von außerhalb. Es ist das Haus mit dem größten Wahl-Abo Hamburgs. Heißt: Dadurch, dass diese vier Theater so unterschiedlich „ticken“, interessieren sie mich auch.

Inszenieren oder delegieren – was fällt ­Ihnen denn leichter?

Ich versuche, und das gelingt mir nicht immer, noch mehr abzugeben. Ich finde selber, dass das Unternehmen zu sehr auf mich fokussiert ist. Aber wie schon eingangs gesagt, wir haben nach wie vor ein tolles und kreatives Team. Die Zusammenarbeit mit diesem Team und den verschiedenen Ensembles ist meine Motivation, gerne weiterzumachen, auch nach 25 Jahren.

„Herzlich willkommen“ Premiere Fr 20.9,, 20.00, bis 20.10., Altonaer Theater (S Altona), Museumstraße 17, Karten zu 17,- bis 38,- unter T. 39 90 58 70; www.altonaer-theater.de