Hamburg. Pianistin Ragna Schirmer spielt Konzert von Clara Schumann tief bewegend nach. In die Elbphilharmonie brachte sie ihren Flügel mit.

Manchmal muss man in die Vergangenheit zurückgehen, um den Horizont zu weiten. Die Pianistin Ragna Schirmer gratuliert ihrer Vorläuferin Clara Schumann auf ihre Weise zum 200. Geburtstag, der in diesen Wochen landauf, landab gefeiert wird: Sie hat im Zwickauer Schumann-Archiv 1300 Konzertprogramme durchforstet und spielt nun einige davon nach. Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ist die „Soirée“ vom 27. März 1878 dran. Die fand im Convent-Garten statt, damals Hamburgs erster Konzertsaal.

Ein Remake der allercharmantesten Sorte also. Sogar Auszüge aus dem Programmzettel von damals haben die Veranstalter abgedruckt, samt einer Notiz von der Hand der Künstlerin. „Hamburg“ vermerkt sie mit Bleistift auf dem Deckblatt – im Laufe einer Jahrzehnte währenden solistischen Tätigkeit kann man ja schon mal den Überblick verlieren.

Elbphilharmonie: Man könnte Häppchen dazu sagen...

Für heutige Hörer erhellend ist insbesondere die Programmgestaltung. Klar, das klassische Konzert, wie wir es kennen, ist eine bürgerliche Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. Aber die Form hat sich doch verändert. Eine so blumenstraußbunte Abfolge würde heute kaum jemand ernsthaft zusammenstellen: Lieder und Duette von Schubert, Schumann und Brahms, in familiär anmutender Intimität musiziert von der Sopranistin Pia Davila und dem Tenor Florian Sievers, wechseln ab mit Instrumentalstücken unterschiedlichsten Zuschnitts; von der Mendelssohn-Caprice bis zu Beethovens „Waldstein“-Sonate ist alles dabei.

Man könnte auch Häppchen dazu sagen. Und dabei sei es für damalige Verhältnisse schon ungewöhnlich gewesen, eine ganze Sonate zu programmieren, wie Schirmer in ihrer Moderation erläutert. Die Leute hätten das anstrengend gefunden, aber Clara habe das kraft ihrer Position durchgesetzt.

Ragna Schirmer hat Biografie von Clara Schumann tief druchdrungen

Clara. Wenn Schirmer die Künstlerin beim Vornamen nennt, wirkt das weder respektlos noch anbiedernd. In jedem Halbsatz zeigt sich, wie tief sie die Biografie dieser außergewöhnlichen Frau durchdrungen hat, wie sehr es ihr darum geht, die Pianistin zu ehren. Sie plaudert, als erzählte sie von einer Freundin, und bezieht das Publikum mühelos ein.

Zwischen den Stücken abtreten, sich weihevoll versenken, bevor sie beginnt – wozu? Schirmer setzt sich hin und spielt im selben Moment los, ist mittendrin in der Musik, lässt sie atmen, wagt Off-beat-Betonungen und scharfe Akzente. Und blättert auch noch lässig selbst um.

Den Flügel brachte die Pianistin selber mit

Auf ihrem eigens hertransportierten Flügel mit dem monströsen Familiennamen „Grotrian Helfferich Schultz, Theodor Steinweg Nachfolge“ entfaltet Schirmer einen betörenden Klangzauber. Es ist das gleiche Modell, das auch Clara spielte, und hat noch nicht die digital anmutende Ebenmäßigkeit und Brillanz eines modernen Flügels.

Dafür ist das Timbre von einer samtweichen Milde, haben jedes Register und jeder Ton ein Gesicht. Das ist sogar bei Schirmers rasanten Tempi im abschließenden Bravourstück „Carnaval“ von Robert Schumann zu hören und unterstreicht den Eindruck des Offenporigen, berührend Persönlichen.

Was für ein Glück kann so eine Zeitreise sein.