Hamburg. Auf Kampnagel proben Plewka, Tom Stromberg und die Band Schwarz-Rote Heilsarmee „Wann, wenn nicht jetzt“.

Jan Plewka sieht nicht gut aus. Mit flackerndem Blick unterm Tropenhelm und barfuß geistert der Sänger durch die Kampnagel-Hallen, richtet eine Taschenlampe ins Publikum. Und brabbelt. „Als Heinrich Schliemann Troja entdeckte, da fragte man, was er dort gefunden hätte. Und er antwortete … Ton, Steine und Scherben.“ Und dann dröhnt die Band los: Jan Plewka singt Rio Reiser, endlich wieder.

2004 steckte das von Tom Stromberg geleitete Hamburger Schauspielhaus in der Krise – schwache Zuschauerzahlen, miese Kritiken, alles übel. Bis Stromberg Jan Plewka für ein szenisches Konzert engagierte: Songs des 1996 gestorbenen Ton-Steine-Scherben-Sängers Rio Reiser, schon damals im Grunde ein Anachronismus. Aber: Mit der Personalie Plewka gelang Stromberg ein Glücksgriff. Der Sänger der damals pausierenden Rockband Selig war ähnlich wie Reiser ein brüchiger Charakter, schillernd zwischen Euphorie und Absturz, uneindeutig zwischen den Geschlechtern, gleichzeitig intim und hochpolitisch. „Jan Plewka singt Rio Reiser“ war ein Hit im Schauspielhaus-Repertoire, der auch nach dem Ende von Strombergs Intendanz immer wieder aufgeführt wurde und mit „Rausch“ 2015 auf Kampnagel eine Art Fortsetzung (allerdings ohne Reiser-Songs) erlebte.

Plewka: "Musikmachen ist immer ein Zeitdokument"

Aktuell proben Stromberg, Plewka und die Band Schwarz-Rote Heilsarmee das dritte Programm „Wann, wenn nicht jetzt“ auf Kampnagel. Dunkler ist es als die 15 Jahre alte Variante, härter auch: Bei „Menschenfresser“ sägen die Metalgitarren, „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ ist wütende Agitation, „Wir müssen hier raus“ wuchtiger Rock.

„Ich versuche nicht, so zu tun, als wäre ich Rio Reiser“, beschreibt Plewka seinen Zugang zu den Stücken. „Ich singe das als Jan Plewka.“ Was sich geändert hat seit 2004? „Der Abend ist morbider und krasser politisch. Musikmachen ist immer ein Zeitdokument“ – und in Zeiten des Rechtsrucks spielt man keinen sehnsüchtigen Schlager wie „Junimond“ mehr, da spielt man das abgründige „Jenseits von Eden“: „Eins neun dreiunddreißig / In 3D und Farbe / Dann ist Sendepause.“

Lautstarke Politisierung und sensibles Liebeslied

„Wir sind wie Bäume“, beschreibt Plewka sein Verständnis von Zeitgenossenschaft. „Wir atmen die Zeiten ein und versuchen, Mut und Kraft zu geben, eine poetische Daseinsfreude aber auch einen Aufbruch und eine Hoffnung.“ Und in diesem Bild der Bäume hat dann alles Platz: Die lautstarke Politisierung von „Warum geht es mir so dreckig?“ ebenso wie das sensible Liebeslied „Komm, schlaf bei mir“, das weiß, dass Liebe eine Machtstruktur beinhaltet und deswegen politisch ist, aber trotzdem immer noch Liebe.

„Wann, wenn nicht jetzt“ funktioniert als Konzert: Die Songs sind stark, die Band klasse, Plewka performt um sein Leben. Aber es ist Theater, es ist inszeniert – Stromberg arbeitet hier so zurückhaltend wie wirkungsvoll. „Musiktheater“ nennt Plewka das Ergebnis, was den Abend auch nur halb trifft, aber vielleicht ist eine Kategorisierung hier ohnehin verfehlt. „Wenn die Nacht am tiefsten ist“, singt der Rocker, der nicht versucht, Reiser zu imitieren, „ist der Tag am nächsten“. Schön.

„Wann, wenn nicht jetzt“ Aufführungen am 16. und 17. 11., jeweils 19.30, Kampnagel, Tickets unter 27 09 49 49