Hamburg. Der Selig-Frontmann sang „The Juliet Letters“ beim Resonanzraum Festival. Dabei zeigte der Rock-Musiker seine romantische Seite.
Jan Plewka ist ein begabter Interpret. In seine wandlungsfähige Stimme kann er die Punk-Wut eines Rio Reisers legen, aber auch den soften Schmelz von Simon & Garfunkel. Plewka, der mit Selig auch eine sehr erfolgreiche Rockband unterhält, eignet sich auf erstaunliche Weise einen fremden Duktus an und lässt ihn so klingen, als wäre es das Natürlichste von der Welt. Warum also nicht auch Elvis Costello?
Anlässlich des zweiten Resonanzraum Festivals, zu dem das Ensemble Resonanz in seinen Feldstraßenbunker-Saal lädt, um lustvoll Grenzen zwischen Barock, Klassik, Moderne, Elektronik und Pop auszuloten, singt Plewka Songs aus Costellos Album „The Juliet Letters“ – flankiert natürlich von dem exzellenten Streicherensemble. Die Hitze steigt rasch, ein konzentriertes, erfreulich heterogenes Publikum nippt an Wein und Saftschorlen. Blickt auf eine in grünes Licht getauchte Bühne. Romantik, das ist immer auch Waldeinsamkeit. Nicht zuletzt steht auch die geprügelte Natur im Fokus des Festivals, das die Romantik wie dereinst Novalis als Geisteshaltung begreifen will, als Gegenpol zu einer durchrationalisierten Welt.
Plewka singt mit heiligem Ernst und dann wieder mit gepresster Stimme
Das wird schon spürbar beim Intro, ausgerechnet dem Vorspiel zu Wagners „Tristan und Isolde“, einem tragischen Liebespaar der Kunst. Zart tupft das Ensemble die auf- und abwogenden Klänge hin. Noch schärfer, pointierter gelingt den Musikern Mica Levis zeitgenössisches Werk „Love“ für Streichorchester und zwei Sampler. Pure Gänsehautmusik. In „The Juliet Letters“ streift der britische Musiker Elvis Costello, der zu Recht als einer der besten Songschreiber aller Zeiten gilt, mal aufmüpfig Brecht/Weill, mal schwelgt er im elegischen Gefühl. 1993 vertonte er gemeinsam mit dem Brodsky Quartet Briefe, die – meist unglücklich Liebende – nach Verona sandten. Hier steht die Casa di Giulietta mit dem berühmten Balkon, an dem sich Shakespeares dramatisches Liebespaar Romeo & Julia angeschmachtet haben soll (reine Legende!). Ein Komitee beantwortet bis heute diese Briefe.
Aus der verschwurbelten Liebeslyrik drechselt Costello große Kunst. Besonders intensiv gelingt dem Ensemble und Sänger Plewka die feurige Eifersuchtshymne „For Other Eyes“ oder das bittere „I Almost Had A Weakness“, in dem Liebe zur Krankheit wird. Plewka singt mal mit heiligem Ernst, mal mit gepresster Stimme und kommt dem Original mal wieder verblüffend nah.
Zuvor hat er sich bereits aufs Herrlichste mit Sebastian Reier alias Booty Carrell in einer Vinyl-Talkrunde über Romantik ausgetauscht. Diese sei nicht Candle-Light-Dinner und TV-Kitsch, sondern der Ursprung des Menschseins, der Traum von einer anderen, besseren Welt, so Plewka, während auf dem Plattenteller Smetanas „Moldau“ rotiert. Ach, und im November singt Tausendsassa Jan Plewka übrigens wieder Rio Reiser auf Kampnagel.