Salzburg. Simon Stones‘ „Überschreibung“ der „Medea“-Tragödie spielt auf der TV-Thriller-Set-Bühne des Großen Festspielhause.

Bildhübsch gefilmte Szenen einer Scheidung, in geschmackssicher gefilmtem Schwarzweiß, sind als Rückblende-Ouvertüre zu sehen. Erste Einblicke in die Salzburger Society, wo man eine Luxus-Villa am See haben sollte, und alles andere mindestens doppelt. Wo dieses Besitz-Denken erst recht für die Accessoire-Frauen gilt – doch nur, solange sie sich dem Gatten und den Umständen unterordnen. Simon Stones‘ „Überschreibung“ der „Medea“-Tragödie für seine „Medée“-Version spielt bis in den wahrscheinlich echt vergoldeten Wasserhahn auf der TV-Thriller-Set-Bühne des Großen Festspielhauses im Hier und Jetzt statt im Korinth des Euripides. Die Fallhöhe, die bleibt.

Der Regisseur ist bekannt dafür, wuchtige Stoffe schnittig passend zu verorten. Um noch mehr Erzähl-Drive ins mythische Drama zu bekommen, hatte er die pathetischen Alexandriner-Textpassagen des Cherubini-Originals durch SMS-Einblendungen und Mailbox-Nachrichten Medeas an ihren Ex-Mann Jason ersetzt. Sie redet, bittet, fleht, droht und orakelt unabgehört ins Leere, immer wieder.

Dirigent Thomas Hengelbrock, wie ihn der in Salzburg lebende Künstlers Maroine Dib auf einer Postkarte verewigt hat.
Dirigent Thomas Hengelbrock, wie ihn der in Salzburg lebende Künstlers Maroine Dib auf einer Postkarte verewigt hat. © Joachim Mischke | Joachim Mischke

Eine packende, gelungene Charakter-Studie

Genau dieses scharf beobachtete Update in einer Welt aus Scheinen und Schein machte die gefeierte Premiere von Cherubinis „Medée“ zu einer packenden, gelungenen Charakter-Studie, die so gar nichts gestrig Vergilbtes hatte. Gleichberechtigt großen Anteil daran hatte Thomas Hengelbrock (für seine Fans vor Ort wird, wie im Vorjahr mit Kent Nagano als Motiv, im Festspielhaus-Foyer eine Souvenir-Postkarte angeboten).

Der historisch gern gut informierte Ex-NDR-Chefdirigent widerlegte mit den Wiener Philharmonikern, die geschmeidig und klangschön gehorchten, die Pauschalmeinung, diese klassizistische Rivalinnen-und-Kindsmord-Oper vom Ende des 18. Jahrhunderts sei stilistisch verjährt. Nicht den Aufwand wert, sie um die schockierende Titelfigur herum zu arrangieren. Denn nach dem amüsant verbindlichen Einstieg in die Vorabend-Seifenoper-Klischeewelt verdüsterte es sich mehr und mehr giftig über dem Orchestergraben.

Bedrohliche Tiefe und ans Gemüt gehende Dringlichkeit

Medée ist hier nicht nur Außenseiterin, sie ist eine unerwünschte Fremde. Eine von der Staatsmacht zur Illegalen erklärte Außenseiterin. Die Ex, die im georgischen Internet-Café hilflos wütend mit dem Hörer aufs Telefon eindrischt, während ihr Ex sich, nur ein Splitscreen-Bühnen-Bild weiter, mit Dircé (überzeugend klar: Rosa Feola), seiner Neuen, und den beiden Söhnen aus erste Ehe für die nächste Hochzeit aufhübscht.

 Rosa Feola (Dirce) in einer Szene während der Fotoprobe.
Rosa Feola (Dirce) in einer Szene während der Fotoprobe. © dpa

Und je vehementer dieser Beziehungs-Krimi auf die ersten Morde zuraste, desto akribischer arbeitete Hengelbrock die Details der Partitur heraus, gab ihnen bedrohliche Tiefe und ans Gemüt gehende Dringlichkeit. Packendstes Beispiel für diesen Umgang war die Gewittermusik mit Donnerblech zu Beginn des 3. Akts, mit ihrer sanften Vorahnung von „Götterdämmerung“-Endzeit perfekter Soundtrack für Medeas Video-Flucht mit ihren Kindern, die an einer trostlosen Tanke im Irgendwo endete. Dort würde sie ihre Söhne erst einschläfern, dann sich und das Auto mit Benzin übergießen und anzünden (etwas unterdramatisch kokelnd allerdings, verglichen mit dem vorangegangenen Kulissen-Effektaufwand).

Eine am Ende umjubelte Stikhina

Wer aber bei Medea sofort und ausschließlich an eine der Paraderollen von Maria Callas denkt, musste bei dieser Premiere umdenken. Elena Stikhina, die ihre Auftritte interessant differenzierte, war keine Callas-Wiedergeburt, keine Furie weit über den Rand des Nervenzusammenbruchs hinaus, aber: Welche Sängerin ist das schon? Diese Messlatte, sie wurde also nicht gerissen, sondern umgangen.

Unglück im Unglück hatte der Tenor Pavel Cernoch, der bereits in seiner ersten Jason-Arie eng und abgesungen klang und sich aus dieser Notlage auch nicht mehr herausstemmen sollte. Dass Vitalij Kowaljow als Créon den Anforderungen seiner Partie gerechter wurde, ließ der am Ende umjubelten Stikhina, die alles gab, was sie hatte, umso mehr Platz fürs Einfühlen in eine Extremistin aus zertrümmerter Liebe.

Vitalij Kowaljow (Creon) singt in einer Szene während der Fotoprobe.
Vitalij Kowaljow (Creon) singt in einer Szene während der Fotoprobe. © dpa

Konzert: 27.9., 20 Uhr. Händel „Dixit Dominus“, Bach „Jesu, meine Freude“ und „Gott allein…“ Thomas Hengelbrock, Balthasar-Neumann-Ensembles u.a., Laeiszhalle, 10 bis 57 Euro.