Hamburg. Mit der Realität haben die Songs des Österreichers nicht viel zu tun. Aber das macht 40.000 Fans im Volksparkstadion nichts aus.

Es ist ein bisschen wie beim Derby: Die Fans kann man auch als Unbeteiligter eindeutig auseinanderhalten. Wer Hut und Sonnenbrille trägt, biegt zur Barclaycard Arena ab, um das dritte Konzert von Udo Lindenberg an ebenso vielen Tagen anzusehen.

Wer hingegen Lederhosen oder Dirndl Gott weiß woher gekramt hat, will gegenüber ins Stadion, zu Andreas Gabalier. Und die Trachtenfraktion ist am Sonnabend klar in der Überzahl: 40.000 Karten verkauft, eine unbestreitbare Leistung – gerade für jemanden, der sich eines Idioms befleißigt, das nördlich des Weißwurstäquators nahezu unverständlich ist.

Bei Gabalier geht es eigentlich nicht um die Songs

Aber um die Songs geht es eigentlich auch nicht, weder vor noch auf der Bühne: Die ersten zehn Minuten zur Einstimmung auf die nächsten fast drei Stunden verbringt Gabalier mit einem Medley aus diversen Liedern, die er nachher ohnehin noch einmal in voller Länge spielen wird.

Ein Gruß aus der volkstümlichen Schlagerküche, in der die Songs so viel Inhalt haben wie das "trockne Buchenholz", aus dem die Bergbauern angeblich geschnitzt sind, bevor die Lieder "Volks-Rock-'n'-Roller" und "Verdammt lang her" (nicht zu verwechseln mit dem Bap-Song) die Schlagzahl vorgeben.

Selbst seine Trauer instrumentalisiert Gabalier

Ihr Inhalt: Der Andreas, der ist einer von uns, ein ganz Bodenständiger. Dem "wurde das Lernen verboten" wegen zu schlechter Noten, und der hatte mit 16 Jahren einen Walkman, in der "Summertime in den 90er-Jahren".

Dass Gabalier eigentlich ein Studium zumindest angefangen hat und 1984 geboren ist, das ist egal. Es geht schließlich ums Gefühl. Selbst bei dem Lied, das wohl das ist, das Gabalier von der echten Trauer zum Rausschmeißer des Stadionkonzerts verwandelt hat: "Amoi sehn mer uns wieder", der 2009 verfasste Klagegesang über den Verlust von Schwester und Vater, ist zehn Jahre später auch nicht mehr als ein Aspekt der Selbstdarstellung Gabaliers, für den er Regieanweisungen verteilt, wie er mitzusingen sei.

Frauen sind für den Österreicher Rehlein oder Zuckerpuppen

"Servus, die Madln!" Kein Wunder, dass nur der weibliche Teil des Publikums extra begrüßt wird – immerhin sind "Zuckerpuppen", "fesche Madln" und "Rehlein", Frauen zu umarmen "am besten, ihr kennt sie nicht", Fokus des Schaffens. Oder ein Luis-Trenker-hafter Heimatbegriff ohne Realitätsbezug.

Jedenfalls wenn Gabalier sich nicht gerade auf den Bühnenboden wirft und sich gleich zweimal, kurz nach Beginn und kurz vor Ende, minutenlang dafür feiern lässt, pathetisch zu schwelgen (möglicherweise eine Art In-der-Menge-Baden für Menschen, die keine Menschen mögen).

"Was für eine Textsicherheit in der Hansestadt"

Das Themenspektrum ist vom Genre vorgegeben: Es heißt schließlich nicht umsonst volkstümliche Musik (die Elvistolle auf Gabaliers Kopf und die Marshall-Verstärker hinter ihm, Insignien des Rock 'n' Roll, darf man getrost ignorieren).

Also geht es in Songs und Ansagen entweder um die Liebe, ihre etwas kurzfristiger angelegte Cousine, die Lust – oder um "Dahoam", die Heimat, die komplexeste und zugleich einfachste Konstruktion innerhalb der Gabalier-Bühnenwelt.

Denn das Österreich, das er da besingt (und das enthusiastisch von den Norddeutschen mitgegrölt wird: "Was für eine Textsicherheit in der Hansestadt!", lobt auch Gabalier) – das gibt es nicht.

Das Phantom der "alpinen Lebensweise"

Die "alpine Lebensweise", die er beschwört, besteht aus dem Schnitzel auf dem Teller, dem Kreuz an der Wand, dem Bierkrug auf dem Tresen, der Tracht am Körper und dem "Madl" im Bett, das dem groben Charme einer Krachledernen einfach nicht widerstehen kann: "Das ist es, worum es im Leben geht."

Man darf davon ausgehen, dass auch im hinterletzten Bergdorf der Steiermark inzwischen der Jahrtausendwechsel gefeiert worden ist und man einen geringfügig moderneren Ausblick auf das Leben hat.

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Das "fesche Madl" braucht einen flotten Buam"

Aber um andere als um das selbst gepinselte Leben Gabaliers geht es auch nicht an diesem Abend. Der Österreicher ist ganz augenscheinlich gefangen im Postkartenbild, das er sich gemalt hat von der Alpenkitsch-Realität, vom Verhältnis der Geschlechter zueinander und der Gegenwart zu seinem "Steirerland". An einer Kunstakademie würde man damit sicher nicht aufgenommen, aber das heißt ja nicht, dass man keinen Erfolg haben könnte mit seinem grob geschnitzten Weltbild.

Selbst der Flügel kommt in Kiefernoptik daher, so echt wie die Aussicht auf die Wirklichkeit. Das "fesche Madl" braucht einfach einen "flotten Buam". Was die so titulierte Frau dazu sagt, ist erst mal egal. Solange sie nicht ganz eindeutig Nein sagt, geht der Mann jedenfalls nicht "hoam".

Alkohol? Ein Thema

Und weil so ein Naturbursche natürlich auch einen Song über irgendwas haben muss, was wächst und gedeiht, gibt es die "Königin der Alpen", das Edelweiß. Poet, der Gabalier ist, weiß er die Vorzüge der Blume zu preisen: "Jack und Jimmy und John wirken farblos dagegen".

Saufen geht sowieso immer: In "Frühwirth" beschreibt Gabalier ausführlich, dass man als Mann halt auch mal trinken gehen muss, ohne Rücksicht auf Verluste und im Gegensatz zur Frau. Spätestens nach diesem Song wird auch noch der Letzte im Rund zum Tresen gestrebt sein, und sei es nur aus Selbstschutz.

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"Ist das der Sinn der Demokratie?"

Es wäre den engagierten Trinkern zumindest zu wünschen. Denn das Lied, das Gabalier und sein Weltbild am besten erklärt, folgt erst noch. Es ist keiner dieser Uptempo-Après-Ski-Songs, in denen – pardon – gesoffen und gevögelt wird. Nein, "A Meinung haben" kommt vergleichsweise verhalten daher, mit Cello und Akustikgitarre.

Die Mär vom allein auf dem Gipfel stehenden Lederhosen-Träger "mit felsenfester Meinung", der dem Gegenwind der Wenigen trotzt, die angeblich bestimmen, was man denken soll, bekommt großen Applaus. Trotz der augenscheinlichen logischen Schwächen: "Wenn's sein muss, ganz allein da oben stehen" trifft auf die Klage, dass es ja nur die wenigen seien, die die vielen unterdrücken würden: "Is' des der Sinn einer Demokratie?" Tja …

Drei Stunden "Emotion pur" für Hamburger "Bergbauern"

Vielleicht muss man Andreas Gabalier aber auch einfach nur bemitleiden: Jemand, der in Hamburg wiederholt behauptet, "mir alle san Bergbauernbuam", der lebt in seiner eigenen bunten Welt, die ganz klar sehr begrenzt ist. Aber das wird ihm von den 40.000 Fans verziehen, genau wie die Tatsache, dass er dem Volksparkstadion wiederholt andere Namen (Volkspark-Arena, Hamburger Stadion) gibt. Schließlich waren es "drei Stunden Emotion pur" – da zählen Tatsachen nicht so sehr.